Zeitbilder 5/6, Schulbuch

15. Aus Krisen in den Krieg Krisenzonen der Weltpolitik Eine Krisenzone bildete Marokko. Hier drohte bereits im Frühsommer 1911 auf Grund deutsch-französischer Gegensätze ein Krieg, nachdem das deutsche Kano- nenboot „Panther“ vor Agadir aufgekreuzt war. Ein Ab- kommen konnte den Konflikt entschärfen. Allerdings verstärkten Frankreich und Großbritannien ihre Zu- sammenarbeit, wie sie schon in der „Entente Cordiale“ von 1904 beschlossen worden war. Vor allem die Gene- ralstäbe beider Staaten trafen zusammen und stimmten ihre strategischen Planungen aufeinander ab. Eine besondere Krisenregion stellte aber der Balkan dar. Hier forderten Slawen und Albaner ihre Unabhän- gigkeit vom Osmanischen Reich bzw. die Vergrößerung ihres Staatsgebietes. So verfolgte z. B. Serbien, gestützt auf Russland, den Plan eines großserbischen Reiches. Am Balkan prallten aber auch die Interessen der Regie- rungen Russlands, Österreichs und des Osmanischen Reiches unmittelbar aufeinander. Im Sinne des Pansla- wismus betrachtete sich Russland als Führungs- und Schutzmacht der slawischen Völker. Verbunden mit dem Panslawismus waren aber auch machtpolitische Interessen Russlands, die auf die Be- herrschung der Meerengen zwischen dem Schwarzen und Mittelmeer gerichtet waren. Jede Veränderung des Status quo im östlichen Mittelmeer stieß aber auf den Widerstand der britischen Regierung. Nach einem Vor- stoß Russlands in das von inneren Krisen geschwächte Osmanische Reich trat der deutsche Reichskanzler Bis­ marck als Vermittler auf. 1878 fand in Berlin ein Kon- gress statt, auf dem die Großmächte nochmals einen Ausgleich ihrer Interessen herstellen konnten. Unter anderem wurde beschlossen, Bosnien und Herzegowi- na der Verwaltung Österreichs zu unterstellen. Die Lage am Balkan blieb allerdings gespannt. Italien beanspruchte Gebiete an der dalmatinischen Küste. Deutschland hatte enge Verbindungen zum Osma- nischen Reich, wo deutsche Firmen und Banken tätig waren. Das Osmanische Reich selbst war durch inne- re Krisen geschwächt. Dies nützte Österreich aus und annektierte 1908 Bosnien und Herzegowina mit seinem großen serbischen Bevölkerungsanteil. Aus dieser An- nexion entstand eine schwere internationale Krise, doch kam es noch zu keinem Krieg. 1912 führten Serbien, Bulgarien, Montenegro und Grie- chenland den 1. Balkankrieg gegen das Osmanische Reich. Er hatte eine weitere Verkleinerung des osma- nisch beherrschten Territoriums auf dem europäischen Festland zur Folge. Uneinigkeit der Sieger führte wenig später zum 2. Balkankrieg. Die Großmächte griffen in diesen Konflikt nicht aktiv ein, doch konnte eine direk- te militärische Konfrontation zwischen Österreich und Russland nur mühsam vermieden werden. Julikrise und Kriegsausbruch Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfol- ger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie in Sarajewo (Bosnien-Herzegowina) von einem serbi- schen Nationalisten erschossen. In dem daraus entste- henden österreichisch-serbischen Konflikt sicherte die deutsche Regierung Österreich die volle Unterstützung zu. Gleichzeitig war man davon überzeugt, dass im Falle eines Krieges Russland sich an die Seite Serbiens stellen würde. Am 23. Juli 1914 richtete Österreich an Serbien ein scharfes Ultimatum, in dem die Beteiligung Österreichs an der Untersuchung des Attentats gefordert wurde. Serbien lehnte dieses Ultimatum jedoch ab. Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich an Serbien den Krieg. Innerhalb weniger Tage wurde aus dem „begrenzten Krieg“ zwischen Österreich und Serbien ein „europä- ischer“. Die Automatik der Bündnisverträge und der strategischen Planungen trug dazu wesentlich bei: 29. Juli: Teilmobilmachung Russlands 30. Juli: Generalmobilmachung Russlands W Berliner Kongress 13. Juni bis 13. Juli 1878. Gemälde, 1881, von Anton von Werner (1843–1915). W Karikatur zur Krise um Marokko 1911: Frankreich und Spanien be- schweren sich bei England über Deutschland, das ihnen mit einem Ka- nonenboot im „marokkanischen Teich“ in die Quere kommt. 228 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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