Zeitbilder 5/6, Schulbuch
L Die (…) Mission des Hauptmannes Marchand zum oberen Nil (…) war verursacht durch das Bedürfnis, die demütigende Niederlage von 1882 in der ägyptischen Angelegenheit auszugleichen. Ihre Durchführung war nicht von einem breiten Enthu- siasmus der Öffentlichkeit getragen, ja deckte sich nicht einmal mit der offiziellen Politik der französi- schen Regierung: Sie war das Werk einer kleinen Gruppe von Kolonialschwärmern (…) und eines kleinen Kreises von Bürokraten im Kolonialminis- terium. (…) Die Haupttriebfeder der französischen Sudanpolitik war die Wiederherstellung des franzö- sischen Prestiges. (…) Denn das Gebiet am oberen Nil konnte für Frankreich keinen Wert an sich haben. Als Absatzmarkt oder Transitgebiet (…) kam es nicht in Frage. Ein gewisser strategischer Wert konnte ihm allerdings in dem großen Zukunftsplan einer durch- gehenden Landbrücke von West- nach Ostafrika zu- kommen. (Baumgart, Der Imperialismus. Idee und Wirklichkeit der englischen und französischen Kolonialexpansion 1880–1914, 1975, S. 44 f.) Welche Motive für imperialistisches Handeln können dem Text entnommen werden? Belgien – ein Kleinstaat expandiert Das Königreich Belgien zählte zu den schon früh in- dustrialisierten Staaten Europas. Die Wirtschaftskrise von 1873 traf das Land sehr. Zur Lösung der Probleme schlug König Leopold II. im Parlament eine aktive Ko- lonialpolitik vor, durch die Absatzmärkte gewonnen, der Handel gefördert und die Staatseinnahmen erhöht werden könnten. Darüber hinaus würde Belgien durch den Machtzuwachs im Kreis der europäischen Staaten eine noch bessere Position erlangen. Die Pläne des Kö- nigs stießen im Parlament allerdings auf Widerstand, dennoch betrieb Leopold II. Kolonialpolitik. Zu diesem Zweck gründete er eine private Forschungsgesellschaft, für die u. a. der Brite Henry M. Stanley Reisen unter- nahm. Gleichzeitig erwarb er auch im Gebiet des Kongo Land für den belgischen König. L Im Übrigen suchte er (= der König von Belgien) die Welt glauben zu machen, dass ihn dabei nicht private Gewinnsucht oder Machtgier, sondern aus- schließlich humanitäre Motive bestimmten. Er ver- sprach, den Eingeborenen die westliche Zivilisation und das Christentum zu bringen. Vor allem aber soll- te der westlichen Welt uneingeschränkter Zugang zu den Märkten im Kongodelta gegeben werden. (Mommsen, Das Zeitalter des Imperialismus, 1969, S. 43) Das Deutsche Reich – der „späte Weg“ zur Weltmacht 1882 entstand ein von Bankiers, Unternehmern und Bil- dungsbürgern geförderter privater „Kolonialverein“. Wenig später wurden die „Gesellschaft für Deutsche Kolonisation“ und die „Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwest-Afrika“ gegründet. Deutsche Kaufleute aus Hamburg und Bremen errichteten in Ost- und Süd- westafrika Handelsniederlassungen. Carl Peters, ein Kaufmann, schrieb in seinen Erinnerungen: Q Ich erkannte in England, was die Wechselwir- kung zwischen Mutterland und Kolonien han- delspolitisch und volkswirtschaftlich bedeutet und was Deutschland jährlich verliert dadurch, dass es seinen Kaffee, seinen Tee, seinen Reis, seinen Tabak, seine Gewürze (…) von fremden Völkern sich kaufen muss; welchen Wert es für die einzelnen Persönlich- keiten in England hat, sich in den Kolonien seinen Unterhalt zu verdienen und ein unabhängiges Ver- mögen zu machen, im Staatsdienst oder außerhalb desselben. (Peters, Wie Deutsch-Ostafrika entstand, 1940, S. 8) Die Händler und Kaufleute traten an die Regierung he- ran und baten um Schutz für Tätigkeit und ihre Nieder- lassungen. 1884/85 verkündete die Regierung die offi- zielle Schutzherrschaft über „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia), „Deutsch-Ostafrika“ (heute Tansania), Kamerun und die ersten eroberten Inseln im Pazifik. Der Historiker Hans U. Wehler meint: L Durch die Industrialisierung (…) wurden in ei- nem Land mehr Waren produziert, als verbraucht werden konnten. Die sich daraus ergebenden Krisen glaubte man meistern zu können, indem man Wa- ren und Kapital ausführte und so den Markt über die eigenen Grenzen hinaus ausdehnte. Die raschen Veränderungen drohten auch die alte Gesellschafts- ordnung in Klassen zu zerreißen und eine Sozial- revolution auszulösen. Auch dafür glaubte man das Heilmittel in der Expansion gefunden zu haben, denn durch die Erweiterung des Marktes wurde die W Faschoda (1898). Karikatur aus dem Pariser „Petit Journal“ vom 20. November 1898. Die Karikatur zeigt den britischen Imperialismus als Wolf im Märchen. Rotkäppchen (= Frankreich) bringt einen Kuchen (= Faschoda). Es stellt sich die Frage, ob der Wolf diesen alleine fressen wird oder teilt. 221 Imperialismus und Erster Weltkrieg 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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