Zeitbilder 5/6, Schulbuch

8. Der Liberalismus Liberale Forderungen Der Liberalismus war geprägt durch die Forderungen nach Grundrechten, Verfassung, Gewaltenteilung, gewählter Volksvertretung und Rechtsstaat. Zu den Grundrechten gehörten Meinungs-, Rede- und Presse- freiheit. Dies richtete sich gegen die Zensur, wie sie in Obrigkeitsstaaten vorherrschte. Verlangt wurden aber auch Vereins- und Versamm- lungsfreiheit sowie Schutz vor willkürlicher Verhaftung. Religion galt den Liberalen als Privatsache. Sie traten daher für die Trennung von Kirche und Staat ein. Ein besonderer Stellenwert kam dem Eigentum zu. In ihm sahen die Liberalen die Grundlage des materiellen und sozialen Wohles. Daher sollte das Eigentum ebenso ge- schützt werden wie die persönlichen Freiheiten. Träger des Liberalismus war das Bürgertum, das seine Gleichberechtigung gegenüber dem Adel anstrebte. Was das Bürgertum für sich beanspruchte, gestand es anderen sozialen Gruppen jedoch nicht zu. Dies wurde besonders deutlich, als auch die Arbeiterschaft Forde- rungen nach Gleichberechtigung erhob. Höhepunkt und Krise des Liberalismus Nach der Niederschlagung der Revolutionen von 1848/49 suchten die herrschenden Kräfte und das wirt- schaftlich aufstrebende Bürgertum nach Möglichkei- ten der Zusammenarbeit. Gemeinsame Interessen von Staatsmacht und Bürgertum lagen vor allem in der Wirtschafts- und Außenpolitik. Um 1860 schlossen die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und Preu- ßens Freihandelsverträge ab. Zölle, die bisher die Wirt- schaft vor ausländischer Konkurrenz schützten, wurden gesenkt oder aufgehoben. Auch rechtliche Barrieren im Bereich der Wirtschaft fielen. Davon profitierten u. a. ein aufstrebendes Banken- und Aktienwesen. Das Verkehrswesen, insbesondere die Eisenbahnen, erlebte ebenfalls einen lebhaften Aufschwung: L Die Möglichkeiten des Marktes schienen un- erschöpflich. Die wachsenden Bedürfnisse und die zunehmende Konsumkraft der breiten Massen schienen Aussichten fast ohne Horizontbegrenzung zu eröffnen. In der Atmosphäre rasch und allgemein ansteigenden Wohlstandes würden, so hoffte man in den Kreisen des liberalen Bürgertums, die Gegensät- ze und Konflikte in der jeweiligen Gesellschaft schon bald zurücktreten. (Gall, Europa auf dem Weg in die Moderne 1850–1890, 1997, S. 23) In dieser Zeit entwickelte sich der Liberalismus in vielen europäischen Staaten auch als politische Kraft. Parla­ mente – nach jeweils unterschiedlichen Wahlrechten gewählt – gewannen im politischen Leben an Bedeu- tung. Liberale Parteien formierten sich. Auch Österreich erlebte in den Sechzigerjahren seine „liberale Ära“. Die Liberalen wollten in Wirtschaft und Gesellschaft so wenig Staatseingriffe wie möglich. Sie waren der Mei- nung, dass die Gleichheit vor dem Gesetz den Einzel- nen ausreichend schützte. Diese Haltung wurde von der jungen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung heftig kritisiert. Sie verlangte gesetzliche Maßnahmen des Staates zum Schutz der sozial Schwachen. Gegensätze bestanden aber auch zu den Konservativen, die andere Vorstellungen einer Staats- und Gesellschaftsordnung hatten und auch die Zurückdrängung der Kirche durch die Liberalen bekämpften. Wie die Arbeiterbewegung entwickelte sich die katholisch-konservative Kraft rasch zu einem eigenständigen politischen Faktor. Beide tra- ten zunehmend in Konkurrenz zum Liberalismus. Die Krise des Liberalismus setzte ein, als 1873 die Wirt- schaftskonjunktur zusammenbrach. Auf die „Gründer- jahre“ folgte die „Gründerkrise“. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasst die Forderungen des Liberalismus zusammen und diskutiert ihre Aktualität. 2. Stellt Zusammenhänge her zwischen Forderungen des Liberalismus und neuen Orientierungen in der Wirtschaft. Findet ihr dabei Bezüge zur Gegenwart? W Eine Karikatur aus dem Jahr 1819. 212 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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