Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Unternehmer fordern: Treue, Fleiß, Disziplin Die Industriellen Alfred Krupp und Carl Stumm gewähr- ten ihren Betriebsangehörigen für die damalige Zeit vorbildliche Sozialleistungen und vergleichsweise gu- ten, d. h. über dem Existenzminimum liegenden Lohn. Im Unternehmen des Carl Stumm gab es beispielsweise eine Betriebsschule für Kinder und Lehrlinge, eine Bib- liothek, ein Kranken- und Waisenhaus, billige Betriebs- wohnungen und Werkskantinen, Kranken- und Inva- liden-, Witwen- und Waisenrenten. Außerdem hielt er für alle Arbeiter wöchentliche Sprechstunden ab. Dafür aber erwartete er sich Treue und Unterordnung, Fleiß und absolute Disziplin, Zufriedenheit und vorbildliches Benehmen – auch außerhalb des Betriebes: Q Ein Arbeiter, der sich außerhalb eines Betriebes einem liederlichen Lebenswandel hingibt, wird auch in dem Betriebe nichts leisten können. (…) Wer in dieser Beziehung meinen Anforderungen nicht entspricht, wird zunächst verwarnt, und, wenn das nicht hilft, wird ihm gekündigt werden. (…) (Helwig, Carl Ferdinand Freiherr v. Stumm-Halberg, S. 301 ff.; in: Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 3, 1981, S. 184) Wie bewertet ihr die Einstellung und das Verhalten dieser Unternehmer? Lassen sich ihre Forderungen aus dama- liger bzw. heutiger Sicht rechtfertigen? Erkundigt euch über die wichtigsten Rechte und Pflichten der heutigen Arbeitnehmer/innen. Auch die Kirche sucht nach Lösungen Lange Zeit nahm die katholische Kirche an der Sozi- alen Frage keinen Anteil. Sie sah den Obrigkeitsstaat mit seiner politischen und sozialen Ungleichheit als Teil einer göttlichen Weltordnung. Doch dieses Bündnis mit den herrschenden konservativen und besitzenden Volksschichten führte zur Abkehr vieler Arbeiter von der Kirche. Denn sie trat weder gegen den grenzenlo- sen Kapitalismus auf, noch kümmerte sie sich um die verelendeten Massen (Karl Marx: „Religion ist Opium des Volkes!“). Erst um die Mitte des 19. Jh. nahmen sich einzelne Priester, wie z. B. der Kölner Kaplan Kolping, der Sozialen Frage an. Der frühere Schustergeselle gründete katholische Gesellenvereine („Kolpingfamili- en“), die sich bald in vielen Orten Deutschlands, Ös- terreichs und der Schweiz ausbreiteten und in eigenen Häusern jungen Handwerkern Unterkunft boten. Bald wurden Kirchenmänner auch politisch aktiv: Der adelige Mainzer Bischof von Ketteler und der aus Ös- terreich stammende Freiherr von Vogelsang gründeten christliche Arbeiterbewegungen. Sie sollten einen Ge- genpol zu Marxismus und Liberalismus bilden. Papst Leo XIII. nahm im Jahre 1891 als erstes Kirchenober- haupt zur Arbeiterfrage in einer Enzyklika („Rerum novarum“) Stellung. Über die Pflichten von Arbeitneh- mern und Arbeitgebern heißt es dort: Q Von diesen (christlichen) Pflichten schärft sie fol- gende den arbeitenden Ständen ein: vollständig und treu die Arbeitsleistung verrichten (…), den Ar- beitsherren weder an der Habe noch an der Person Schaden zuzufügen; in der Wahrung ihrer Rechte sich der Gewalttätigkeit zu enthalten und in keinem Falle Auflehnung zu stiften; nicht Verbindung zu hal- ten mit schlechten Menschen, die ihnen trügerische Hoffnungen vorspiegeln (…). Die Pflichten, die sie hinwieder den Besitzenden (…) einschärft: Die Ar- beiter dürfen nicht wie Sklaven angesehen und be- handelt werden; ihre persönliche Würde (…) werde stets heilig gehalten (…). Vor allem aber ist es Pflicht des Arbeitsherrn, den Grundsatz: „Jedem das Seine“ stets vor Augen zu behalten. Dieser Grundsatz sollte (…) auf die Höhe des Lohnes Anwendung finden. (Rerum Novarum) Klare Stellung bezog Leo XIII. in dieser Schrift auch zur marxistischen Lehre: Q Mit dem Wegfall des Spornes für Strebsamkeit und Fleiß würden auch die Quellen der Wohlha- benheit versiegen. Aus der eingebildeten Gleichheit aller würde nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung für alle. – Aus alledem er- gibt sich klar die Verwerflichkeit der sozialistischen Grundlehre, wonach der Staat allen Privatbesitz ein- ziehen und zu öffentlichem Gute machen würde. Eine solche Theorie gereicht den arbeitenden Klassen (…) lediglich zu schwerem Schaden (…). Bei allen Ver- suchen zur Abhilfe gegenüber den gegenwärtigen sozialen Missständen ist (…) festzuhalten, dass das Privateigentum unantastbar und heilig sei. (Rerum Novarum) Zählt die Pflichten auf, die Papst Leo XIII. den Arbeitge- bern und Arbeitnehmern überträgt und beurteilt die vorge- nommene Aufteilung. Was ist die Hauptkritik des Papstes an der „sozialisti- schen Grundlehre“? Wie beurteilt ihr seine Haltung? Fragen und Arbeitsaufträge 1. Recherchiert im Internet und in Lexika die Biographie von Marx und Engels und präsentiert sie in der Klasse. 2. Welche Bedeutung haben Gewerkschaften heute?Macht eine Umfrage dazu unter euren Lehrerinnen und Lehrern, Eltern, Großeltern usw. W Zweigstelle der Hammerbrotwerke in der Alserbachstraße Wien, 1938. Die Hammerbrotwerke, gegründet 1909 von der (Konsum-) Genossen- schaftsbewegung der Arbeiterschaft produzierten Brot für die Wiener Arbeiter/innen und schalteten so den Zwischenhandel aus. 209 Industrialisierung 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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