Zeitbilder 5/6, Schulbuch

system: Dort herrschte der Patriarch absolut über Haus oder Betrieb, kümmerte sich aber auch um das sozia- le Wohl seiner Untergebenen. Auch in der großen Be- triebsfamilie sollten anstelle der Entfremdung und Anonymität die persönlichen Beziehungen zwischen Fabriksherren und den vielen Untergebenen wieder- hergestellt werden. Unternehmer verbieten den Arbeitern politische Betätigung Diese Arbeitgeber betrachteten die Gewerkschaftsfunk- tionäre und Arbeitervertreter als „Aufwiegler von drau- ßen“. Diese würden die Belegschaft zu unbedachten oder gar kriminellen Handlungen verführen. Politische Betätigung der Arbeiter wurde von den Unternehmern durchwegs abgelehnt. Der Großindustrielle und Eisen- produzent Alfred Krupp riet deshalb seiner Belegschaft: Q Genießet, was euch beschieden ist. Nach getaner Arbeit verbleibt im Kreis der Eurigen, bei den El- tern, bei der Frau und den Kindern und sinnt über Haushalt und Erziehung. Das sei eure Politik, dabei werdet Ihr frohe Stunden erleben(...) Höhere Politik treiben erfordert mehr freie Zeit und Einblick in die Verhältnisse, als dem Arbeiter verliehen ist (…). Das Politisieren in der Kneipe ist nebenbei sehr teuer, da- für kann man im Hause Besseres haben. (Berdow, Alfred Krupps Briefe 1826–1887, Berlin, 1928, 348; in: Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 3., 1981, S. 183) sam bessere Arbeitsbedingungen (z. B. höhere Löhne, Verkürzung der Arbeitszeit etc.) durchzusetzen. Das waren die Vorläufer unserer heutigen Gewerkschaften. Sie waren durchaus kämpferisch und manchmal auch gewalttätig, wenn ihre Forderungen von den Unterneh- mern abgelehnt wurden: Als Kampfmittel dienten ihnen der Streik und andere spontane Protestaktionen sowie der Sturm auf die Maschinen. Gewerkschaften kämpfen um bessere Bedingungen Obwohl die Regierung solche Arbeitervereinigungen mit Strafandrohung untersagte (= Koalitionsverbot, 1799) und immer wieder Polizei mit brutaler Gewalt Arbeiterdemonstrationen zerschlug, nahm die Zahl die- ser „Trade Unions“ ständig zu. Bald nach Aufhebung des Koalitionsverbotes (1824) gab es in England die ersten Versuche zur Bildung von Ge- werkschaften (z. B. Robert Owen, 1834). Trotz der gesetz­ lichen Anerkennung wurde ihre Arbeit immer wieder behindert: von Unternehmern (durch Aussperrung ih- rer Mitglieder aus den Betrieben), von der Staatsmacht (durch einschränkende Bestimmungen) und den Ge- richten (durch eine Gesetzesauslegung, die meist gegen die Gewerkschaften gerichtet war). Dennoch konnten diese in der 2. Hälfte des 19. Jh. ihre Hauptforderungen schrittweise durchsetzen: Verringerung der Arbeitszeit, Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit, bessere Löhne sowie das Recht auf Streik. Doch erst seit Beginn des 20. Jh. konnten sich die mittlerweile zu Massenor- ganisationen angewachsenen Gewerkschaften in ihrer Tätigkeit frei und ungehindert entfalten. Arbeiterparteien wollen politische Mitbestimmung Neben der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedin­ gungen strebte die britische Arbeiterschaft aber auch eine politische Mitsprache und Vertretung an. 1838 wurde die Bewegung der Chartisten (charter = Ur- kunde) gegründet. Sie forderten in von Millionen un- terzeichneten Bittschriften an das Parlament vor allem ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht für alle Männer. Diese Bewegung hielt sich aber nur ein Jahrzehnt. Während sich in Deutschland (1869) und Ös- terreich (1888/89) schon einheitliche Arbeiterparteien gebildet hatten, wurde in Großbritannien die „Labour Party“ erst im Jahre 1900 gegründet. Wichtig war den Arbeitervertretern aber auch die internationale Zusam- menarbeit, wie sie Karl Marx schon Jahrzehnte früher eingeleitet hatte. Wie Unternehmer die Soziale Frage „lösen“ Es gab es nur wenige Unternehmer, welche die Sozi- ale Frage zu lösen versuchten. Diese einsichtigen und fortschrittlichen Arbeitgeber erkannten, dass Reformen zur Behebung der drückenden sozialen Missstände un- bedingt notwendig waren. Dadurch erwarteten sie sich vor allem eine bessere Motivation und eine größere Betriebstreue ihrer Arbeiter. Eine Änderung der Eigen- tumsverhältnisse, wie es die Vertreter der Arbeiter ver- langten, wollten sie aber keineswegs zulassen. Diese Unternehmer hatten ihr Vorbild im alten Feudal­ W Der Streik (kolorierter Holzstich nach einem Gemälde von Robert Köh- ler, 1893). Beschreibt die Szene: Wer sind die Hauptakteure, wer die Randfiguren? Wie sieht die Rollenverteilung aus? Österreichische Arbeiterbewegung – Daten und Fakten 1848: Höhepunkt der Maschinenstürmerei in Österreich 1867: Vereins- und Versammlungsrecht für Arbeiter 1870: Arbeiter erhalten das Koalitions- und Streikrecht 1883: Einsatz von Gewerbeinspektoren zur Abschaffung von Missständen in Fabriken und Gewerbebetrie- ben 1885: Einführung des 11-Stunden-Tages; Verbot der Fab- riksarbeit für Kinder unter 14 Jahren 1888: 1. Krankenversicherungsgesetz 1889: 1. Unfallversicherungsgesetz 1896: 1. Kollektivvertrag (= Arbeits- und Lohnvertrag) für Arbeiter 208 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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