Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Allmähliche Besserung Die Kontrolle der Arbeitsbedingun- gen, die Schutzvorkehrungen gegen Unfälle in den Fabriken sowie die Einführung von Unfall- und Kran- kenversicherung für Arbeiter (1887 und 1888) verbesserten die Lage der Arbeiter allmählich. Nun erhielten die Arbeiter ihre Löh- ne in Geld ausbezahlt und waren nicht mehr gezwungen, für einen großen Teil des Lohnes von den Fabrikinhabern Nahrungsmittel in den Kantinen zu überhöhten Preisen einzukaufen. Die Maximalarbeits- zeit durfte 11 Stunden pro Tag (bei 6 Arbeitstagen) nicht mehr über- schreiten. Wöchnerinnen erhielten eine Schonfrist von 4 Wochen nach der Niederkunft. Man erkannte nämlich, dass verbes- serte Arbeitsbedingungen die Leis- tungsfähigkeit und die Leistungs- bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer förderten. Aller- dings erreichten diese sozialrechtli- chen Verbesserungen die Land- und Forstarbeiter, die Tagelöhner und die Dienstboten nicht. Die Ausbeutung der Kinder Neben dem Elend der Arbeiterin- nen und Arbeiter war das Los der arbeitenden Kinder vielfach einfach schrecklich. Zwar war Kinderarbeit in der Landwirtschaft und im Ge- werbe schon vor der Industriellen Revolution üblich. Kinder mussten im Haus, auf dem Feld, im Betrieb mitarbeiten. Nun aber waren Kinder von den Unternehmern als Arbeitskräfte besonders gefragt: Sie mussten zu noch niedrigeren Löhnen als die Frauen arbeiten. In der Nähe der Manufakturen – und später der Fabriken – wurden oftmals Kinder- häuser gebaut. Dort lebten häufig 100 und mehr – meist Soldaten- und Waisenkinder –, die zur Arbeit in den Betrieben bestimmt waren. Q „Man sollte überhaupt alle Kinder von ihrer Kindheit an immer mehr zur Arbeitsamkeit anhalten und ihnen die Arbeit ge- wohnt (…) machen. Gebe es doch hunderterley Arbeiten, wozu Kin- der in ihrem 5. und 6. Jahr fähig sind; und wodurch man die Arbeit gleichsam zu ihrer Natur machen würde, indem sie den Müßiggang niemals kennen lernen (…)“, stell- Das Elend der Arbeiter, Arbeiterinnen und Kinder Elend vor der Industrialisierung Lange vor der Entstehung der Fa- briken lebten sehr viele arbeitende Menschen im Elend. Seit der zünf- tisch organisierten Welt der Hand- werker im späten Mittelalter war die Lage der Gesellen und der Lehrlin- ge oft von drückender sozialer Här- te. Die Gesellen waren gezwungen zu wandern, sie durften nicht heira- ten und keine Familie gründen. Sie hatten kaum Aufstiegschancen und waren meist völlig vom Haushalt des Meisters abhängig. Noch schlechter war in vielen Fäl- len die Situation der Lehrlinge. Ihr Alltag war immer wieder auch von brutalen Schlägen und schlechten Mahlzeiten bestimmt. Der Übergang zur Manufaktur Die Übergänge von der zünftisch geregelten handwerklichen Ar- beit zu den Manufakturen im 17. Jh. waren fließend. So waren z. B. zwischen 25 % und 60 % der Ar- beitskräfte in den Manufakturen Gesellen oder auch Handwerks- meister. Sie nahmen als gelernte Arbeitskräfte in diesen Betrieben eine Schlüsselstellung ein. Vor allem in der aufkommenden Web- und Spinnindustrie wurden viele Frauen und auch Kinder beschäftigt – einem Weber mussten 8 bis 12 Spinnerin- nen zuarbeiten. Diese Arbeiten wur- den meist zu Hause – als Nebener- werb – von Inleuten, Kleinhäuslern oder auch von Kleinbauern, deren Frauen und Kindern verrichtet. Maschinen verschlechtern die Lage der Arbeiter Um die Wende vom 18. zum 19. Jh. gelangten in den Betrieben immer mehr Maschinen zum Einsatz. Die Kleinbauern, Inleute und Kleinhäus- ler verloren ihre Nebenerwerbsmög- lichkeiten. Viele wurden in den Ruin getrieben, ob im Mühlviertel Ober- österreichs, im Waldviertel Nieder- österreichs, in der Obersteiermark oder in Kärnten. Das Landproletariat nahm zur damaligen Zeit enorm zu. Nach der ländlich/bäuerlichen Bevölkerung traf die wirtschaftliche Entwicklung die Industriearbeiter. Bei Absatzstockungen wurden sie sofort entlassen. Weitere Ratio- nalisierung der Arbeit durch den vermehrten Einsatz von Maschinen in den Fabriken verringerte nicht nur die Zahl der Arbeitskräfte. Sie drückte auch die Löhne, weil mehr Menschen um weniger Arbeitsplät- ze konkurrieren mussten. Das führte dazu, dass Aufstände drohten. Q Noch schweigt das Volk bei seinem Schmerze / Und kennt nichtseineeigeneMacht,(…)/Doch and’re Zeiten seh’ ich tagen. / Von tausenden Lippen schmal und bleich / Hör’ ich die wilden düst’ren Fragen: / Wie lang der Spalt von Arm und Reich? (Meisner, Gedichte, S. 242, zit. n. Rumpler, 1997, S. 258) Der Einsatz von Maschinen machte die Erzeugung von vielen Produkten billiger. Das trieb auch zahllose Ge- werbetreibende in den Ruin. Das ein- strömende ländliche Proletariat über- völkerte nun die Städte. Dort herrsch- ten bald katastrophale Zustände. Die Arbeiter wohnen im Elend Mit dem explosionsartigen Wachs- tum der Städte wuchs dort auch die Wohnungsnot. Häufig wurden in ummittelbarer Fabriksnähe Holz- baracken errichtet, in welchen die Arbeiter eng zusammengepfercht Unterschlupf fanden. Die meisten Arbeiterfamilien mussten froh sein, wenn sie nur ein Dach über dem Kopf bekommen konnten – ob in al- ten verfallenen Häusern, in Kellern oder Dachböden. Die Wohnungs- knappheit verursachte ein übermä- ßiges Ansteigen der Mietzinse, die oft bis zu drei Viertel des Lohns aus- machen konnten. Viele Arbeiter waren nur „Bett- geher“. Sie zahlten dafür, dass sie in einem Bett schlafen konnten, welches zusätzlich in der Wohnung aufgestellt wurde. Diese Bettgeher teilten ihre Schlafstelle häufig mit einer zweiten Person; gewechselt wurde sie wie in der Fabrik im Schichtbetrieb. Erst um die Jahrhun- dertwende wurde das massenhafte Wohnungselend von kritischen Po- litikern und in Zeitungen öffentlich angeprangert. Sind euch ähnliche Wohnverhält- nisse aus der Gegenwart bekannt? Welche sozialen und psychischen Probleme ergeben sich aus solchen Wohnverhältnissen? Wie viel Wohn- fläche hast du zur Verfügung? 190 Politische Bildung – Kompetenztraining Läng schnitt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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