Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Liberalismus und Nationalismus Die Restauration der europäischen Staatenwelt war mit dem Bemühen der Fürsten verbunden, den Absolutis- mus zu erneuern und auszubauen. Alle Forderungen der Bevölkerung nach Mitbestimmung sollten zurück- gedrängt werden (= Reaktion). Die Regierungen stütz- ten sich dabei auf eine starke Polizei, ein ausgedehntes Spitzelwesen und auf ein treu ergebenes Beamtentum. Die Überwachung der Bevölkerung erreichte dabei sol- che Ausmaße, dass man die Staaten im Vormärz auch als „Polizeistaaten“ bezeichnet. Gegen diese Bestrebungen der Herrschenden richteten sich die jungen Ideen des Liberalismus und des Natio­ nalismus, die in der Bevölkerung auf immer mehr Zu- stimmung stießen. Den Liberalen ging es dabei vor allem um eine Ver­ fassung, welche die Grundrechte garantieren sollte. Be- sonders wichtig waren ihnen die Freiheit der Presse und der Universitäten, die Rechtsgleichheit und zu deren Sicherung die Einführung von Geschworenengerichten sowie die Repräsentation in einem Parlament, das die Gesetze beschließt und die Regierung kontrolliert. Die Anhänger einer republikanischen Staatsform waren da- mals noch eine unbedeutende Minderheit. In den Kriegen gegen die französische Nation und ge- gen Napoleon sind den Völkern ihre Gemeinsamkei- ten bewusst geworden: gemeinsamer Lebensraum und gemeinsame Abstammung, gemeinsame Sprache, Ge- schichte, Sitten und Brauchtum. Die Wünsche der Na- tionalisten gipfelten in einem eigenen nationalen (Ein- heits-)Staat. Auf dem Wiener Kongress wurden aus dynastischen Überlegungen (Legitimität) diese Vorstellungen nicht beachtet. Deutschland blieb zersplittert und viele Ge- biete Europas wurden von landfremden Herrschern re- giert. Ein geeintes deutsches Reich? Auch in den deutschen Ländern war nach dem Sieg über Napoleon der Wunsch nach einem neuen, geeinten Deutschland stark in den Vordergrund getreten. Beson- ders Studenten und Universitätsprofessoren waren An- hänger dieser Idee, die sie eifrig verbreiteten. Ihre Hoff- nungen blieben (vorerst) unerfüllt. Die Fürsten wollten sich mit einem Machtverlust nicht abfinden. Metternich befürchtete eine Beispielswirkung auf die vielen Völker der Habsburgermonarchie. So schuf man 1815 den Deutschen Bund, der vierund- dreißig Fürstentümer und vier Freistädte umfasste. Die Bundesgewalt lag bei einer ständigen Konferenz von weisungsgebundenen Gesandten (Bundestag in Frank- furt am Main) unter dem Vorsitz Österreichs. Überdies waren die Befugnisse des Bundestages sehr beschränkt und für Beschlüsse war Einstimmigkeit notwendig, was fast jede Entscheidung verhinderte. Schließlich gestaltete sich 1817 ein Turnfest auf der Wartburg bei Eisenach in Thüringen zu einer öffentli- chen Demonstration für ein geeintes Deutschland und gegen den Polizeistaat. Für die Fürsten und Metternich stellten solche und ähn- liche Vorfälle eine drohende Gefahr dar. Sie reagierten mit den „Karlsbader Beschlüssen“ (1819), die der Höhe- punkt der Reaktion waren: Die Studentenverbindungen wurden aufgelöst und –– die Universitäten unter Polizeiaufsicht gestellt. Die Turnbewegung Ludwig Jahns wurde verboten, er –– selber als „Demagoge“ sechs Jahre eingesperrt. Eine „Zentraluntersuchungskommission gegen dema- –– gogische Umtriebe“ wurde eingesetzt. Die Zensur aller Druckwerke wurde verschärft. –– Alle Gegner des Systems wurden überwacht bzw. in–– haftiert. Viele zogen es vor, der Heimat den Rücken zu kehren und auszuwandern (USA, Großbritannien, Schweiz). Revolutionen: unterdrückte und erfolgreiche In Spanien und Neapel schlugen Interventionsarmeen der Heiligen Allianz Revolutionen gegen die absolutis- tischen Herrscher nieder. In Portugal war schon 1817 eine Revolution unter liberalen Vorzeichen ausgebro- chen, die in einen Bürgerkrieg mündete (bis 1834). Schließlich fiel auch diese Erhebung der Interventions- politik der „Heilige Allianz“ zum Opfer. Ein Aufstand der Polen (1830) gegen die Herrschaft des Zaren wurde von russischen Truppen zerschlagen (vgl. die Karte S. 178). Doch nicht überall konnte die „Heilige Allianz“ die alte Ordnung sichern. In einigen Ländern erwie- sen sich Liberalismus, Nationalismus und Unab­ hängigkeitsbestrebungen stärker als Restauration und Reaktion. In den spanischen Kolonien richtete sich der Kampf der Bevölkerung zunächst gegen die aus der Zeit des Mer- kantilismus stammenden wirtschaftlichen Einschrän- kungen. Die Handelsverbote, die Verbote der Ölbaum- pflanzung, des Weinbaus und der Tuchweberei wurden nicht mehr widerstandslos hingenommen. Dazu kamen  „Der Denker-Club“ (Karikatur auf die Unterdrückung der Rede- und Pressefreiheit in der Zeit um 1820): Der Text auf der rechten Wandtafel lautet u.a.: „Schweigen ist das ers- te Gesetz (…) – Auf dass kein Mitglied in Versuchung geraten möge, seiner Zunge freien Lauf zu lassen, so werden beim Eintritt Maulkörbe ausgeteilt.“ 179 Revolution und Restauration 5 Nur zu Prüfzwecken – Ei entum des Verlags öbv

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