Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Gegen die Unmündigkeit Q Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Un- mündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Ver- standes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sa- pere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstan- des zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklä- rung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen dennoch gerne zeitle- bens unmündig bleibt; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. (Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, 1971, S. 53 ff.) Warum sind die Menschen nach Kant unmündig? Worauf sollten sie ihr Handeln gründen? An welchen politischen Zuständen übt er Kritik? Haben die Aussagen Kants auch heute noch Berechtigung? Die Voraussetzungen: Empirismus und Rationalismus Die geistigen Wurzeln der Aufklärung reichen ins anti- ke Griechenland und in den Beginn der Neuzeit zurück (naturwissenschaftliche Erkenntnisse von Kopernikus, Kepler, Galilei). Der Engländer Francis Bacon vertrat im 18. Jahrhundert die Ansicht, dass die Erfahrung (= Empirie) die einzig verlässliche Quelle der Erkenntnis sei. Er lehnte daher unüberprüftes und unüberprüfbares Wissen ab. Beobachtung und Experiment seien deshalb die einzigen zulässigen wissenschaftlichen Methoden. In Frankreich schuf René Descartes den Rationalismus. Auch er weigerte sich, traditionelle Lehrsätze zu über­ 5. Die Aufklärung nehmen; alles wurde von ihm systematisch in Zweifel gezogen: „Ich denke, also bin ich“ (Cogito ergo sum). Er entwickelte eine Weltanschauung, die durch den Glauben an die Fähigkeit der menschlichen Vernunft geprägt ist. Gegen politische Unmündigkeit Der Engländer John Locke entwickelte eine Staats- lehre, in der er die Aufgaben des Staates auf das Not- wendigste einschränkte. Die wichtigste Aufgabe sei der Schutz des Eigentums seiner Bürger. Im Gegensatz zum Absolutismus sah Locke im Volk die höchste Au- torität im Staat und begründete damit den Grundsatz der Volkssouveränität. Auf dieser Grundlage forderte Locke eine konstitutionelle Regierung, das Recht auf Widerstand sowie die Trennung der Staatsgewalten in Gesetzgebung und Regierung (Legislative, Exekutive). Der Franzose Charles Montesquieu entwickelte später diese Ideen weiter und führte noch zusätzlich die Ju- risdiktion (Rechtsprechung) als unabhängige Gewalt ein. Auch der Volksbegriff wandelte sich entscheidend. War im Mittelalter nur der Adel das „Volk“, zur Zeit des Absolutismus die Stände, so erklärte nun Jean- Jacques Rousseau in seinem Hauptwerk „Contrat social“ („Ge- sellschaftsvertrag“) die abhängige Bevölkerung zum Volk. Der Herrscher hat die Pflicht, das Wohl seiner Un- tertanen zu sichern. Ist er dazu nicht im Stande, kann ihn das Volk absetzen. Aufklärung und Gesellschaft Die Aufklärer verstanden den Menschen als ein zur Freiheit berechtigtes und von Natur dazu bestimmtes Wesen. Soziale Ungleichheiten und jede Form von Un- freiheit hielten sie für ungerecht und bekämpften sie in ihren Schriften. Deshalb setzten sich die Vertreter der Aufklärung auch für die Emanzipation der jüdischen und bäuerlichen Bevölkerung sowie der Sklavinnen und Sklaven ein. Rousseau drückte das 1762 in seinem „Contrat social“ folgendermaßen aus und verband da- mit gleichzeitig die Aufforderung zum politischen Han- deln – zur Revolution: Q Der Mensch wird frei geboren, doch überall ist er in Ketten. Solange ein Volk gezwungen ist, zu ge- horchen, tut es wohl, sobald es aber das Joch abwer- fen kann und es abwirft, tut es besser. Seiner Freiheit entsagen, heißt seiner Eigenschaft als Mensch zu ent- sagen. Eine solche Verzichtsleistung ist unverträglich mit der menschlichen Natur. (Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag. Textkritische Ausgabe, hg. v. Fi- scher, 2002) Die Aufklärer gingen von der optimistischen Voraus- setzung aus, dass Wissen und Einsicht alle Not und Unterdrückung aus der Welt schaffen könne. Sie ver- traten daher die Idee einer allgemeinen Volksbildung. Bei manchen Herrschern fanden diese Gedanken An-  Immanuel Kant wirkte als Universitätsprofessor in Königs- berg (Ostpreußen).  1781 erschien Kants „Kri- tik der reinen Vernunft“, die grundlegende Darstellung sei- ner erkenntnistheoretischen Überlegungen. 160 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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