Zeitbilder 5/6, Schulbuch
2. Frankreich unter Ludwig XIV. Bald nach dem Tod Kardinal Richelieus starb auch Lud- wig XIII. Neuer König wurde sein knapp fünf Jahre alter Sohn Ludwig XIV. Seine Mutter, Anna von Österreich, wurde Regentin und übertrug die Leitung der Staats- geschäfte dem Kardinal Mazarin. Diesem gelang im Kampf gegen die Vormachtstellung der Habsburger mit dem Westfälischen Frieden (1648) ein entscheidender Erfolg. Das „grand siècle“, das „große Jahrhundert“, wie die Franzosen die nun folgende Epoche ihrer Ge- schichte bezeichnen, hatte begonnen. Der Sonnenkönig Nach dem Tod Mazarins übernahm Ludwig XIV. allein die Regierung. Dazu verbrachte er regelmäßig viele Stunden in Gesprächen mit seinen Ministern, führte den Vorsitz bei wichtigen Besprechungen, las und hörte Be- richte und kam seinen Repräsentationspflichten nach. Alle wichtigen Entscheidungen fällte der König selbst. Er sah sich als Zentrum der Verwaltung und des Staates, das hoch und erhaben über allen Mitmenschen stand. Wenn auch der oft zitierte Satz „L’État c’est moi“ (Der Staat bin ich) wahrscheinlich nicht von Ludwig XIV. stammt, so drückt er doch seine überragende Stellung treffend aus. Q Als Sinnbild wählte ich die Sonne, die nach den Regeln der Wappenkunst das vornehmste Zei- chen vorstellt. Sie ist ohne Zweifel das lebendigste und schönste Sinnbild eines großen Fürsten, sowohl deshalb, weil sie einzig in ihrer Art ist, als auch durch den Glanz, der sie umgibt, durch das Licht, das sie den anderen Gestirnen spendet, die gleichsam ihren Hofstaat bilden, durch die gerechte Verteilung des Lichtes über die verschiedenen Himmelsgegenden der Welt, durch die Wohltaten, die sie überall spen- det, durch das Leben, die Freude und die Tätigkeit, die sie überall weckt, durch ihre unaufhörliche Bewe- gung, bei der sie trotzdem stets in ständiger Ruhe zu schweben scheint, durch ihren ständigen und unver- änderlichen Lauf, von dem sie niemals abweicht. (Ludwig XIV., Memoiren, 1931, S. 187) Wie sieht Ludwig XIV. seine Stellung? Übertrage dazu die Eigenschaften der Sonne in den menschlichen Bereich. Arbeite aus dieser und der nächsten Quellenstelle das Selbstverständnis Ludwigs XIV. heraus. In seinen Memoiren beschrieb er das Verhältnis des Herrschers zu seinen Untertanen: Q Gott, der die Könige über die Menschen gesetzt hat, wollte, dass man sie als seine Stellvertreter achte, und er selbst hat sich das Recht vorbehalten, über ihren Wandel zu urteilen. Es ist sein Wille, dass, wer als Untertan geboren ist, willenlos zu gehorchen hat. (Ludwig XIV., Memoiren, 1931, S. 187) Auf welche Vorstellung Ludwigs von Herrschaft lässt diese Darstellung schließen? Der Hof im Dienste des Königs L In einem „Sumpf, in dem Nattern, Kröten und Frösche hausten“ – so berichtet der Augenzeuge Saint-Simon –, ließ Ludwig XIV. das Jagdschlösschen seines Vaters bei Paris zur glanzvollen Residenz er- weitern. Von 1661–1689 bauten – unter der Leitung der Baumeister Le Vau und Hardouin-Mansart – bis zu 36 000 Arbeiter an der Schlossanlage. 6 000 Pfer- de waren zum Transport der Materialien eingesetzt. Die Gartenfront des Schlosses ist 580 m lang und hat 375 Fenster. Es gibt etwa 2 000 Räume. Die Spitze des französischen Adels wohnte ständig in Versailles. Rund 20 000 Menschen umfasste der Hofstaat, darun- ter eine Leibwache von mehreren tausend Mann, 338 Köche, 125 Sänger, 80 Pagen, 74 Kapläne, 68 Quar- tiermeister, 62 Herolde, 48 Ärzte, 40 Kammerherren, 12 Mantelträger, 8 Rasierer, 3 Bindenknüpfer. Der Plan für Garten und Park stammt von Le Nôtre. Um die vielen Kanäle, Bassins, Teiche, Wasserfälle und 1 400 Springbrunnen zu versorgen, musste Wasser über weite Strecken in die mächtigen Reservoirs von Versailles geleitet werden. (Schmid, Fragen an die Geschichte, Bd. 3, 1981, S. 19) Dieser gewaltige Bau (vgl. S. 148 f.) sollte vor allem als prunkvoller Rahmen für den Sonnenkönig dienen. Der König sah sich als Mittelpunkt, um den sich alles zu drehen hatte. Viele Adelige überließen ihre Güter Ver- waltern und zogen nach Versailles. Hier wurden sie mit klangvollen Ämtern betraut, besaßen aber keine politi- sche Macht. Sie bildeten den neuen Stand des Hofadels, der immer mehr – auch finanziell – vom König abhängig wurde. Angelockt wurden viele Adelige auch von den unzähligen Unterhaltungsmöglichkeiten in Versailles: Theater- u. Ballett-Aufführungen, Konzerte, Feuerwer- ke, Jagden, Umzüge hielten die vergnügungssüchtige Ludwig XIV. ließ sich 1670 vom Maler Jean Nocret als griechischen Sonnengott Apoll darstellen. Die Mitglieder seiner Familie, die ihn umge- ben, besitzen ebenfalls göttliche Gestalt. (Ölgemälde 1670, Versailles). 152 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv
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