Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Vom Augsburger Religionsfrieden zum Prager Fenstersturz Immer wieder gab es Streit um die Auslegung des Augsburger Religionsfriedens – sowohl in den luthe- risch als auch den katholisch regierten Ländern. Auch im Reichstag wurde so lange gestritten, bis die luthe- rischen Reichsstände den Reichstag verließen (1608). Im Anschluss gründeten die protestantischen Fürsten ein militärisches Bündnis, die „Union“. Ein Jahr spä- ter vereinigten sich die katholischen Landesfürsten zur „Liga“. Manche Herrscher, wie der Habsburger-Kaiser Maximi- lian II. (1564–1576), zeigten sich in Religionsfragen sehr tolerant. Er selbst war gegenüber dem Protestantismus sehr aufgeschlossen und erlaubte daher dem Adel und seinen Untertanen die Ausübung des Augsburger Be- kenntnisses. Sein Nachfolger, Kaiser Rudolf II. (1576– 1612), verlegte seine Residenz nach Prag. Obwohl von Jesuiten streng katholisch erzogen, gewährte auch er 1609 mit dem so genannten Majestätsbrief den böhmi- schen Ständen und allen Untertanen Religionsfreiheit. Doch die Auslegung dieses Majestätsbriefes wurde sehr bald zum Streitobjekt: Als im Jahr 1618 eine Beschwer- de böhmischer Protestanten wegen der Schließung zweier Kirchen vom Kaiser zurückgewiesen worden war, drangen protestantische Adelige in die kaiserliche Prager Burg ein und warfen drei habsburgische Beamte zum Fenster hinaus. Wenig später erklärten die böhmi- schen Adeligen den Habsburger Ferdinand II. als König von Böhmen für abgesetzt und wählten den protestan- tischen Fürsten Friedrich von der Pfalz zu ihrem König. Jetzt standen die Zeichen auf Krieg und die militäri- schen Bündnisse wurden wirksam. Der Dreißigjährige Krieg – ein europäischer Krieg Kaiser Ferdinand II. erhielt Unterstützung durch die Liga, vom Papst und von Spanien. 1620 schlug sein Feldherr Tilly vor den Toren Prags in der Schlacht am Weißen Berg die Truppen des „Winterkönigs“ Friedrich. Es folgte ein Strafgericht: Die Güter der böhmischen Protestanten wurden beschlagnahmt, sie selbst mussten das Land verlassen. Die böhmischen Stände verloren in ihrem Land jede Mitsprache. Das Königreich Böhmen wurde zu einem habsburgischen Erbkönigtum gemacht (bis 1918). Dem Krieg in Böhmen folgten weitere Kriegshandlun- gen in anderen Teilen des Heiligen Römischen Reiches. Auch fremde Mächte wie die Dänen marschierten, von Holland und England unterstützt, für die Protestanten in den Kampf. 1630 landeten schwedische Truppen in Norddeutschland. Ihr König Gustav Adolf begründete sein Eingreifen folgendermaßen: Q Man weiß, dass der deutsche Kaiser einen un- auslöschlichen Hass gegen Schweden hat. Er will alle Evangelischen ausrotten und für das Haus Öster- reich die unumschränkte Herrschaft sichern. Um die Ostsee und somit Schweden zu sichern, müssen wir den Angriff eröffnen (…). Unser höchstes Ziel beim 13. Der Dreißigjährige Krieg Kriegseintritt besteht darin, unsere unterdrückten Religionsverwandten aus den Klauen des Papstes zu befreien. (Weltgeschichte im Bild, Bd. 7, 1989, S. 54) Tatsächlich hatten die Truppen der Liga ihre protestan tischen Gegner in wenigen Jahren besiegt und hielten 1629 ganz Norddeutschland besetzt. Hauptverantwort- lich für die Erfolge war der Feldherr Albrecht Wallen- stein, ein böhmischer Adeliger. Er führte einen neuen Kriegsstil ein: Wallenstein heuerte Soldaten an – egal, woher sie kamen oder welchen Glauben sie hatten –, zahlte ihnen Sold und vermietete sie an den Kaiser wei- ter. Diese Söldnerheere machten keinen Unterschied zwischen Freund und Feind. Wohin sie auch kamen, wurden sie zur Landplage. Denn Wallensteins Grund- satz war: „Der Krieg muss den Krieg ernähren!“ Etwa 50 000 Mann standen in seiner Armee, die von doppelt so vielen Zivilisten begleitet wurde – von Händlern, Handwerkern, Dienern, Kindern, Prostituierten … Da Wallenstein den Fürsten zu mächtig wurde, betrie- ben sie beim Kaiser erfolgreich seine Absetzung. Als aber Gustav Adolf siegreich bis an die Grenzen der Habsburgerländer vorstieß, setzte ihn der Kaiser wieder als Feldherr ein. Tatsächlich gelang es ihm, die Schwe- den wieder bis nach Norddeutschland zurückzudrän- gen. Da Wallenstein aber des Landesverrats bezichtigt wurde, wurde er später von kaiserlichen Offizieren er- mordet. 1635 schloss der Kaiser mit den protestantischen Ständen einen Sonderfrieden. Der Krieg schien zu Ende. Doch das katholische Frankreich war an einer Schwächung des Hauses Habsburg interessiert und trat daher offen auf der Seite der protestantischen Schweden in den Krieg ein. Es gab zwar keine größeren Schlachten, aber stän- dige Gewalttaten, Plünderungen und Verwüstungen. In der Folge gab es auch Hungersnöte und Seuchen (u. a. die Pest). Nach jahrelangen Verhandlungen einigten sich 1648 die vielen Gesandtschaften im katholischen Münster und im evangelischen Osnabrück endlich auf einen Friedensschluss (= Westfälischer Friede). Der zeitgenössische Schriftsteller Grimmelshausen be- richtet über das brutale Vorgehen der Soldaten: Q Jeder der Soldaten hatte seine besondere Arbeit zu verrichten, deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte. Was sie aber nicht mitzuneh- men gedachten, wurde zerschlagen und zu Grunde gerichtet. Den Knecht legten sie gebunden auf die Erde, stell- ten ihm ein Sperrholz in den Mund und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstigen Mistlachenwas- sers in den Leib. Das nannten sie einen schwedischen Trunk. Dann fing man erst an, die Daumen der Bauern auf- zuschrauben und die armen Schelme so zu foltern, als wenn man hätte Hexen brennen wollen. Einen von den gefangenen Bauern wollten sie bereits in 140 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum de Verlags öbv
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