Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Zu Beginn des 16. Jh. kam es dann doch zu jener religi- ösen Erneuerungsbewegung, die nachhaltig bis in un- sere Gegenwart wirksam ist. Ihr Endergebnis war eine Reform innerhalb der katholischen Kirche, aber auch, ursprünglich ungewollt, die Kirchenspaltung – die Re- formation. Den Hauptanstoß zu dieser einschneiden- den Veränderung in Europa gab der sächsische Mönch Martin Luther (1483–1546). Dass sie wirklich stattfinden konnte, hatte mehrere Gründe: Der Großteil der Bevölkerung war für die Reform auf- –– nahmebereit. Viele hohe Adelige bzw. Landesfürsten unterstützten –– die Reformbewegung und übernahmen die Leitung der evangelischen Landeskirchen. Die gefährliche außenpolitische Lage des Heiligen –– Römischen Reiches zwang den Kaiser zu Zugeständ- nissen („Türkengefahr“, Krieg gegen die Franzosen). Die Reformation war nicht nur ein religiös-kirchlicher Prozess, sie beeinflusste auch die folgende politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung Europas. Das Zeitalter der Konfessionalisierung (= Entstehung mehre- rer Konfessionen statt einer Kirche) war angebrochen. Auslöser der Reformation – der Ablasshandel Die zur Vergebung der Sünden auferlegten Bußstrafen, die früher aus Gebeten, Wallfahrten oder Fasten bestan- den hatten, wurden im Laufe des Spätmittelalters häufig auch durch Geldspenden ersetzt. Schließlich setzte sich in weiten Kreisen der Bevölkerung die Überzeugung durch, dass sie durch Geld den Nachlass ihrer Sünden (= Geldablass) erreichen könnten. Papst und Bischöfe unterstützten diesen Ablasshandel, weil er eine weitere Einkommensquelle bedeutete. Selbst für schon Verstor- bene wurde der Ablass angeboten. „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt!“, war der Werbeslogan des Mönches Tetzel. Er zog durch die deutschen Lande, um einen Ablass für den Bau des Pe- tersdomes in Rom zu verkaufen. 9. Reformation statt Reform Martin Luther lehrte zur selben Zeit an der Universität Wittenberg (in Sachsen) das Alte und Neue Testament. Als nun der Dominikaner Tetzel in der benachbarten Mark Brandenburg mit seinem Ablasskasten herumzog, strömten auch aus Wittenberg viele Gläubige dorthin, um ihre Sünden mit Ablassbriefen loszuwerden. Luther aber lehnte den Ablasshandel schärfstens ab. Seiner Meinung nach erzählten die Ablassprediger nur „erlogene Märchen“. Er selbst war nach langen Glau- benszweifeln fest davon überzeugt, dass nur durch die „Kraft des inneren Glaubens“ und die Gnade Gottes die Menschen erlöst werden könnten. Die 95 Thesen – Luthers Abkehr von der Kirche Luther beschäftigte sich schon länger mit der Interpreta­ tion der Bibel und den Zuständen in der Kirche. Seine Arbeit fasste er in den berühmt gewordenen 95 Thesen zusammen. Sie waren eigentlich nur als Diskussions­ papier für Theologen gedacht. Dennoch wurden die Thesen bald vielfach abgedruckt und rasch im Land verbreitet. Viele Humanisten und katholische Theolo- gen nahmen sie begeistert auf. Q 1. Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße (…), hat er gewollt, dass alles Leben seiner Gläubigen Buße sein soll. 32. Wer durch Ablassbriefe meint, seiner Seligkeit gewiss zu sein, der wird ewiglich verdammt sein samt seinen Lehrmeistern. 36. Jeglicher Christ hat, wenn er in aufrichtiger Reue steht, vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld, die ihm auch ohne Ablassbrief zusteht. 43. Man lehre die Christen, dass, wer dem Armen gibt oder dem Bedürftigen leiht, besser tut, als wenn er Ablass löste. 50. Man solle die Christen lehren, dass der Papst, falls er vom Schacher der Ablassprediger wüsste, lieber die Kirche des heiligen Petrus zu Asche verbrennen ließe, als dass diese von Haut, Fleisch und Knochen seiner Schafe erbaut werden sollte. (Guggenbühl, Huber, Quellen zur Geschichte der Neueren Zeit, 1976, S. 27) Fasse die Argumente gegen den Ablass zusammen. Anfangs übertrug der Wittenberger Theologe die Ent- scheidung über seine Thesen noch Papst Leo X. („bil- lige oder missbillige sie, ganz wie es dir gefällt“). Doch schon bald forderte er, man möge ihm mit Hilfe der Bi- bel mögliche Irrtümer bei seinen Thesen nachweisen. Außerdem übte Luther nun auch offene Kritik am päpst- lichen Primat, an der Unfehlbarkeit des Konzils und an der Bedeutung der kirchlichen Tradition. Jetzt reagierte der Papst: Ein Teil von Luthers Thesen wurde als ketze- risch erkannt. Es folgte die schriftliche Drohung: Wider- ruf oder Bann! Luther reagierte mit einer öffentlichen Aktion vor den Toren Wittenbergs: In Anwesenheit von Professoren-Kollegen, Studierenden und Bürger/innen Zeitalter der Konfessionalisierung (1517–1648) Anspruch der Kirche im Mittelalter: – alles bestimmend – einziger Weg zum ewigen Leben – es gibt nur eine katholische Kirche Vorwürfe an die Kirche im Spätmittelalter: – Versagen der Seelsorge – Beschäftigung mit Politik und Besitz – Verkauf der Sakramente – Missbrauch des Ablasses Reformbewegungen Glaubensspaltung Ursachen für diese Entwicklung: – Hochklerus zählt zu Reichsfürsten – Kirche als Versorgungsanstalt – Papst kämpft um Kirchenstaat – Papst kämpft um Vormachtstellung – Simonie schädigt Seelsorge } 130 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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