Zeitbilder 5/6, Schulbuch

ihre geistlichen Aufgaben mehr schlecht als recht. Sie waren oft auf Zusatzverdienste als Geschäftsleute, Wir- te oder in der Landwirtschaft angewiesen. Viele dieser Geistlichen konnten weder schreiben noch lesen und schon gar nicht Latein. Deshalb konnten sie auch die Heilige Schrift nicht verstehen, deren Übersetzung in die Landessprachen damals verboten war. Viele der hohen und niederen Geistlichen hielten sich nicht an die christlichen Gebote, führten ein ausschwei- fendes Leben und waren vor allem an den Einkünften aus ihren Kirchenämtern interessiert. Auch die von Papst Gregor VII. (vgl. S. 78 f.) verordnete Ehelosigkeit der Geistlichen wurde häufig nicht beachtet. Die Reformer scheitern Immer wieder traten im Volk Männer auf, die diese Missstände verurteilten, Gruppen um sich scharten und eine Reform der Kirche forderten. Sie zogen auch gegen die Amtskirche zu Felde. Kirche und weltliche Obrigkeit machten mit diesen „Ketzern“ meist kurzen Prozess, verbrannten sie und ließen deren Anhänger einsperren. Eine große Reformbewegung ging vom hoch gebildeten englischen Theologen John Wyclif (ca. 1320–1384) aus. Er lehnte den päpstlichen Primat sowie die Kirchenhie- rarchie insgesamt ab. Die Heilige Schrift war für ihn die einzige Glaubensquelle, er lehnte die Kirche als Hüterin der geheiligten Überlieferung ab und verwarf jegliche Tradition wie Heiligenverehrung, Beichte, Wallfahrten und Ablass (= die Vergebung zeitlicher Sündenstrafen). Wyclif begann die Bibel ins Englische zu übersetzen und predigte stets in der Muttersprache. Seine Lehren wur- den vom Papst und der englischen Kirche verworfen. Obwohl er den König darin unterstützte, keine Steuern nach Rom zu bezahlen, ließ ihn auch die weltliche Ob- rigkeit fallen. Daher zog er sich in eine kleine Pfarre zurück, wo er bald darauf starb. Seine große Anhänger- schaft aber wurde noch jahrelang verfolgt. Auf dem Konstanzer Konzil wurde nicht nur der längst verstorbene Wyclif nachträglich zumKetzer erklärt, son- dern auch der tschechische Theologe Jan Hus (1370– 1415). Er war von den Konzilsvätern nach Konstanz vor- geladen worden, um seine Lehren zu widerrufen. Als Rektor der Prager Universität forderte der tschechische Theologe ähnliche Kirchenreformen wie sein englischer Vorläufer. Dazu galt Hus auch als Vertreter des nationalen Wi- derstandes gegen die Bevormundung durch die deut- sche Oberschicht in Böhmen. Er hatte daher unter den Tschechen eine riesige Anhängerschaft (= Hussiten). Da er aber zum Widerruf seiner Lehren nicht bereit war, verurteilte ihn das Konzil als Ketzer. Es übergab ihn dem weltlichen Gericht zur Vollstreckung des Urteils auf dem Scheiterhaufen. Der Tod des Jan Hus löste in Böhmen einen Sturm der Entrüstung und der Gewalt aus. Deshalb riefen der Papst zum Kreuzzug und der Kaiser zum Reichskrieg gegen die Hussiten auf. Es folgte ein langer Krieg (1419–1433), bei dem die mutigen hussitischen Fußkämpfer einige Erfolge gegen die kaiserlichen Reiterheere erringen konnten. Auch das nördliche Niederösterreich war von den hussitischen Einfällen betroffen. Doch schließlich siegten die kaiserlichen Truppen und alle gegebenen Zugeständnisse an die Aufständischen wurden zurück- genommen: Es gab weder eine Reform der Kirche noch eine Aufhebung der sozialen Ungleichheit. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Nenne die Ursachen für das große Schisma. Wie wurde es beendet? 2. Fasse die Missstände in der Kirche und die Reformvor- schläge zusammen. 3. Beurteile die Reaktion der Kirche auf die Reformbe- wegung.  Wagenburg der Hussiten – zur Verteidigung wurden die Wagen kreis- förmig aufgestellt. Buchmalerei um 1450.  Manchmal bildeten sich um einen Prediger auch Gruppen, die wie die Franziskaner und Dominikaner dem christlichen Armutsideal nachstreb- ten. Eine dieser Gruppen, die so genannten Geißler, nahmen auch kör- perliche Qualen auf sich. Durch Beten, Singen und Selbstgeißelung woll- ten sie Gott versöhnen und die Pest vertreiben. Der Papst sah die kirchli- che Ordnung durch die Geißler bedroht und verbot diese Bewegung. 129 Die frühe Neuzeit 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=