Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Der Journalist Tobias Micke schrieb in seinem Artikel „Das Geschäft mit den Seeräubern“ im Boulevardblatt „Krone bunt“: L „Wenn Sie von Piraten attackiert werden, bitte rufen Sie eine dieser Nummern an. Nennen Sie den Schiffsnamen, die Position und die Art des An- griffs.“ – Nicht nur die NATO hat mittlerweile eine ei- gene Homepage eingerichtet, auf der sich Kapitäne und Schiffseigner routinemäßig über die Gefahrensi- tuation am Horn von Afrika informieren können. Alle drei bis vier Tage – so ist dort einzusehen – star- ten Freibeuter im Golf von Aden oder weiter südlich vor der Küste Kenias (…) einen Angriff auf Handels- schiffe. Im ersten Halbjahr 2010 wurden erfolgreich 27 Schiffe verschleppt und dabei 544 Geiseln genom- men. Piraterie ist gut organisierter Alltag geworden. Zwischen ein und fünf Millionen Dollar Lösegeld lu- krieren die Entführer bei einer erfolgreichen Schiffs- kaperung, schätzt das deutsche Institut für Wirt- schaftsforschung in einer aktuellen Studie über den „Wirtschaftszweig Piraterie“. Für jedes Bandenmit- glied fallen demnach im Schnitt 10.000 bis 15.000 US-Dollar ab. Kein Wunder, dass „Pirat werden“ in einem Land, in dem das jährliche Pro-Kopf-Einkom- men bei knapp 300 Dollar liegt und die Lebenser- wartung unter 50, von vielen jungen Männern aus Mangel an Alternativen als Traumjob gesehen wird. Rund um die Piraterie ist inzwischen eine gut funk- tionierende Infrastruktur gewachsen (…). Seit in Somalia 1991 die Militärdiktatur von Siad Bar- re gestürzt wurde, befindet sich das Land im Bürger- krieg. Die Hauptstadt Mogadischu liegt größtenteils in Schutt und Asche (…). Dieses zentrale Machtvakuum ohne funktionierende Küstenwache nützten Geschäftemacher, um Giftmüll in somalischen Hoheitsgewässern loszuwerden. Aus- ländische Fangflotten betreiben zudem in großem Stil Raubfischerei vor der Küste, sodass den somalischen Fischern die Lebensgrundlage entzogen wurde. (…) Solange die Industrieländer in der „Piratennation“ Somalia nur einen (…) Actionthriller (…) sehen, wird das Problem nicht gelöst werden. Andrew Mwangura (ein Piraten-Geiselverhandler, Anm.d.A.): „Landwirt- schaft und Fischerei müssten wiederbelebt werden.“ Letzteres geht nur mit einer schlagkräftigen (interna- tionalen) Küstenwache. (Tobias Micke, Das Geschäft mit den Seeräubern, in: Krone bunt, 5. 9. 2010) 6. Texte interpretieren Piraterie im historischen Vergleich Piraten gibt es seit mindestens 5000 Jahren. Nach der Entde- ckung Amerikas nahm die Piraterie einen Aufschwung: Spani- en und Portugal teilten die „Neue Welt“ im Vertrag von Tordesil- las 1494 unter sich auf. Frankreich, die Niederlande und England wollten jedoch auch ihren Anteil an den Schätzen Amerikas – an Gebieten, Roh- stoffen sowie Sklavinnen und Sklaven. Sie rüsteten daher Schiffe aus und schickten ihre „Freibeuter“ auf die Weltmeere. Freibeuter sind Piraten, die mit dem Einverständnis ihrer Lan- desherren Beutezüge unternahmen. Dies geschah jedoch nur inoffiziell und geheim, auch um Spanien und Portugal zu scha- den, jedoch ohne ihnen den Krieg erklären zu müssen. Der berühmteste englische Seefahrer und Freibeuter ist Francis Drake. Er kaperte spanische Schatzschiffe und überfiel Städte in den spanischen Kolonien Amerikas, besonders in der Kari- bik. Finanziert wurden seine teuren Unternehmen von reichen Adeligen und Bürgern, vor allem auch von seiner Königin Elisa- beth I. Diese Investoren teilten sich die oft reiche Beute, Drake und seine Besatzung erhielten einen Anteil. Die von der Krone geförderten Kaperfahrten sorgten für 10–15% der auswärtigen Einnahmen Englands. Am Ende des 16. Jahrhunderts war Eng- land zur Seemacht aufgestiegen. Freibeuter wie Drake hatten ihren Anteil daran. Piraterie gibt es heute noch, vor allem in politisch instabilen Regionen. In die Schlagzeilen gerieten in den letzten Jahren vor allem Piraten-Überfälle und Geiselnahmen vor der somalischen Küste in Ostafrika. L Drake profitierte vom Freibeuterwesen, das im 16. und 17. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte. In dieser Zeit wuchs die Zahl der Matrosen extrem. Die Gründe dafür waren ein hohes Bevölkerungs- wachstum, große Arbeitslosigkeit und soziale Not. Der harte Dienst auf den Schiffen ließ vielen Matro- sen die Piraterie als eine erwägenswerte Alternative erscheinen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Seeraub wurde einerseits von Rivalen europä- ischer Mächte und andererseits von Gewinnspekula- tionen der Investoren begünstigt. (…) Nachdem Spanien 1670 die Besitzrechte Englands in Amerika anerkannt hatte, geriet die Seeräuberei un- ter Druck. Die Europäer verstärkten ihre Bemühun- gen, die Piraterie einzudämmen: Einerseits durch das Angebot von Generalamnestien für Piraten, anderer- seits durch massive Verfolgung. (Frank-Armin Neumann, Lebenslauf des Francis Drake, in: Geschichte lernen, 138, Nov. 2010, S. 25) 124 Methode – Kompetenztraining Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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