Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Der Mensch – ein Kosmos im Kleinen Nun wurde man sich des Menschen als Ebenbild Gottes bewusst. Der menschliche Körper wurde nicht mehr nur als sterbliche Hülle, er wurde als Mikrokosmos (= klei- nes Abbild der ganzen Welt) betrachtet. „Was die Natur hervorbrachte und formte, das kann nur beifallswürdig und heilig sein“ – diese Auffassung fand ihren Ausdruck besonders in der Darstellung des nackten Menschen, im Bejahen von Sinnlichkeit und Lebenslust. Die Renais- sancekünstler fühlten sich dabei durchaus im Einklang mit der Kirche und als gläubige Menschen. Sie waren erfüllt von einer neuen Religiosität, die sie aus der Aus- einandersetzung mit den reinen, urchristlichen Formen zu schöpfen glaubten. Der bronzene David des Donatello (1386–1466) ist wahrscheinlich die erste Skulptur eines nackten Menschen seit der Antike, da Nacktheit im Mittelalter als Sünde abgelehnt wurde. Sind euch ähnliche Plastiken aus der Antike noch in Erin- nerung? Was zeichnet diese Darstellungen aus? In der Kunst ging man davon aus, dass Gott die Natur nach exakten Ordnungsprinzipien erschaffen hatte. Da- her galt auch für den Künstler exakte Arbeit als oberstes Prinzip: Das erfordert eine genaue Beobachtung der Na- tur sowie größtmögliche Kenntnis der Körperanatomie, die sich Künstler und Wissenschaftler erstmalig durch Sezieren von Leichen aneigneten. „Man kann sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen, die Gestalt der Menschen in allen Ansichten wiedergeben zu können. (…) Deshalb ist es notwendig, sowohl zu zeichnen als zu schreiben“, meint Leonardo, der auch die „Natur der Menschen und ihre Gewohnheiten“ so „enthül- len“ wollte. Proportionsschema nach Vitruv, eine Studie von Leonardo da Vinci. Auch auf den Menschen, als Teil der göttlichen Ordnung, sei die Propor- tionenlehre anzuwenden, meinte Leonardo. 114 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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