Zeitbilder 5/6, Schulbuch

ihre hörigen, sondern auch über die freien Bauern die „niedere Gerichts- barkeit“ (= keine Todesstrafen) aus. Stadt- und Marktgericht: Es war für – – die Rechtsstreitigkeiten aller Bürger in den Städten und Märkten zustän- dig. Die Stadtrichter übten die „Blut- gerichtsbarkeit“ aus. Land- und Hofgericht: Dort wurden – – Rechtsstreitigkeiten der Adeligen aus- getragen. Das Richteramt übte der Herzog oder ein von ihm eingesetzter Mann aus. Kirchliche Gerichtsbarkeit: Die katho- – – lische Kirche richtete über alle Geist- lichen sowie über Ehestreitigkeiten bei Laien. Sondergerichte: Sie galten für be- – – stimmte Personengruppen, z. B. für Universitäten, Juden, Bettler oder das „fahrende Volk“. Seit dem 12. Jh. wurde die Sühnegerichtsbarkeit (z. B. in Form des Bußgeldes) durch die Blutgerichtsbarkeit abgelöst. Vergel- tung und Abschreckung statt Aussöh- nung wurde nun zum Rechtsprinzip – nicht mehr nur bei Unfreien, sondern auch bei Freien: L Die Todesstrafe wurde auf ver- schiedene Weise vollstreckt. Manche Vollzugsakte der Todes- strafe wie das Hängen wurden nur bei Männern, andere wie das Lebendigbegraben oder das Er- tränken nur bei Frauen angewen- det. Weitere Vollzugsarten waren das Enthaupten, das Rädern, das Vierteilen, das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen und das Sie- den in kochendem Wasser oder Öl. Vor dem Vollzug der Todesstrafe wurden dem Delinquenten häufig durch den Vollzug von Verstüm- melungsstrafen Qualen zugefügt. Wenn der Vollzug der Todesstrafe misslang, indem der Scharfrichter mit dem Schwert danebenschlug oder der Strick des Henkers riss, dann wurde vielerorts die Todes- strafe nicht mehr vollstreckt, und der Verurteilte war frei. (Hoke, Österreichische und deutsche Rechts- geschichte, 1996, S. 126) Was unter seelischem Druck zu- stande gekommen ist, werde ich nicht für gültig erklären. (Dig. 4, 2, 1) Wer von dem anderen Teil durch List oder durch ungerechte und begründete Furcht zu einem Ver- trag veranlasst worden, ist ihn zu halten nicht verbunden. (ABGB § 870) Vergleiche die Rechtssätze des „Cor- pus Juris“ mit dem österreichischen Recht. Recht im Mittelalter Während im spätantiken Römischen Reich das Recht höchst entwickelt und eine eigene Wissenschaft war, galt für die zahlreichen germanischen Völker noch immer das alte Gewohnheitsrecht. Es galt der Grundsatz „altes Recht ist gut“ bzw. „gutes Recht ist alt“. Es war nicht schriftlich fixiert, sondern wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Erst durch den Kontakt mit den Römern kam es zu ersten Ge- setzesaufzeichnungen – wie dem Ge- setz der Westgoten (um 475) oder dem der Franken (um 510). Im 7. und frühen 8. Jahrhundert folgten die Volksrechte der Alamannen und der Bayern. Diese in einem Vulgärlatein (= ein mit der eigenen Sprache vermisch- tes Latein) verfassten Aufzeichnungen enthielten familien- und erbrechtliche-, straf- und prozessrechtliche Bestim- mungen. Daneben galt aber nach wie vor das mündlich überlieferte Recht. Gemeinsam war diesen Völkern die Art der (alten) Rechtsprechung: Das Recht wurde in der Stammes- oder Volksversammlung der freien und wehr- fähigen Männer (= Thing) „gefunden“. Es war also öffentlich, fand an festge- setzten Tagen, an genau bestimmten und meist eingezäunten Orten unter freiem Himmel statt. Die Leitung hatte der jeweilige Stammesführer – der Kö- nig oder Herzog. Er war der Richter, das Urteil aber „fand“ nicht er, sondern die „umstehende“ Versammlung. Für diese suchte der Richter im Recht erfahrene Männer, so genannte Schöf- fen, aus. Diese Form, das Volk am Gerichtsverfahren zu beteiligen, gibt es noch heute: Bei allen Verhandlungen über schwere Verbrechen entscheiden Laien – Schöffen oder Geschworene – über Schuld oder Unschuld der/des Angeklagten. Mittelalterliches Recht unterscheidet sich dennoch ganz wesentlich von „mo- dernem“ Recht. Mit der Ausbildung von Lehenswesen und Grundherrschaft (vgl. S. 70 f.) waren für die verschiedenen sozialen Gruppen unterschiedliche Gerichte zuständig. Es gab das: Dorfgericht und Grundherrschaftliche – – Gericht: In den Dorfgemeinden der freien Bauern lebten die alten Volks- versammlungen fort. Seit dem 12. Jh. übten die Grundherren nicht nur über  Der Mann hackt die über den Zaun hängenden Äste des wilden Hopfens ab (Überhangrecht). Dieses Recht hat sich von den römischen Zwölf-Tafel-Gesetzen bis ins heutige moderne Bürgerliche Gesetzbuch gehalten (§ 422, ABGB 1811) Aus dem Sachsenspiegel, Buchmalerei um 1301, Heidelberg. 108 Politische Bildung – Kompetenztraining Läng schnitt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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