Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Alles, was Recht ist! Merkmale eines modernen Rechtsstaates Mit dem Wort Recht verbinden die Men- schen eine Vielzahl von Gedanken und Erfahrungen: Manche denken dabei an eine Streiterei in der Schule oder mit dem Nachbarn, manche an einen Straf- zettel wegen falschen Parkens oder einen Prozess bei Gericht, andere wie- derum an den Ersatz eines Schadens oder die Aufteilung des Vermögens nach einer Scheidung oder einem To- desfall. Fast immer aber verbinden wir damit eine wenig durchschaubare Fülle von Gesetzen und Vorschriften, häufig in Form von Geboten und Verboten. Wir leben heute in Österreich in ei- nem demokratischen Rechtsstaat. Er zeichnet sich dadurch aus, dass das gesamte öffentliche und private Leben bestimmten Rechtsnormen (= Vorschrif- ten) unterliegt. Das öffentliche Recht legt die Grundordnung des Staates (= Verfassungsrecht) und seine ordnungs- gemäße Verwaltung (= Verwaltungs- recht) fest. Es regelt aber auch das Zusammenleben der Menschen in der staatlichen Gemeinschaft. Der Staat muss die Freiheit und das Eigentum der/des Einzelnen achten und vor Über- griffen durch Andere schützen. Er übt hier also eine Ordnungs- und Schutz- funktion aus, die im Strafrecht geregelt ist. Damit diese Leistungen vom Staat erbracht werden, muss sich der/die Einzelne dem Gemeinwohl unterordnen und gewisse Leistungen für den Staat erfüllen (z. B. Gerichts- und Verwal- tungsabgaben zahlen). Es gibt aber viele Bereiche, wo der Staat seine hoheitlichen Rechte nicht ausübt – da kommt das Privatrecht zur Anwendung. Es begleitet uns von der Wiege bis zur Bahre: Es regelt Erban- gelegenheiten, Ehe, Scheidung, Fragen des Schadenersatzes, der Schulden und des Eigentums. Alle diese Rechts- bereiche sind in umfangreiche Geset- zessammlungen geformt. In Streitfäl- len sorgt der Staat durch die Urteile seiner Richter auch im Privatrecht für Rechtssicherheit. Unser Rechtssystem hat sich nicht von gestern auf heute ausgebildet. Es hat viele Wurzeln, die Jahrtausende zurück- reichen – bis in eine Zeit, in der man noch gar keine Schrift kannte. Alle Gemeinschaften leben nach bestimmten Regeln Das Zusammenleben in allen Gemein- schaften erfolgt innerhalb einer fest- gelegten Ordnung nach bestimmten Regeln. Diese Ordnung ist eine wichtige Voraussetzung für ihr dauerhaftes Be- stehen. Dazu ist es notwendig, dass die Mitglieder einer Gemeinschaft bestimmte Verhaltensweisen bzw. Ver- haltensregeln einhalten. Solche Regeln, die das Verhalten von Menschen inner- halb einer Gruppe in bestimmten Situa- tionen bestimmen, nennt man „soziale Normen“. Diese Normen sind nicht na- turgegeben und auch nicht zeitlos. Sie sind das Ergebnis einer Entwicklung der jeweiligen Gemeinschaft (Gesellschaft). Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben die verschiedenen Gesellschaf- ten bis heute höchst unterschiedli- che und vielfältige Verhaltensregeln hervorgebracht. L Menschliches Leben ist seiner Natur nach auf Gemeinschaft angelegt; die Menschen sind in ih- rem Dasein aufeinander angewie- sen und aufeinander eingestellt. In der ihn umgebenden Welt kann der Einzelne seine Lebensmög- lichkeiten nur in der Beziehung zu anderen verwirklichen. Diese Gemeinschaftsbezogenheit ist ein Merkmal aller menschli- chen Existenz, so vielgestaltig und verschieden die Formen des menschlichen Lebens auch sind und gewesen sein mögen – ange- fangen von den einfachen, wenig gegliederten Gemeinschaften zu Beginn der Menschheitsgeschich- te bis hin zu den großen Indus- triegesellschaften unserer Zeit. (Informationen zur Politischen Bildung 216, Recht 1, 1991, S. 2) Zu diesen sozialen Normen zählt, wenn auch heute in immer geringerem Aus- maß, das Brauchtum. Darunter versteht man regelmäßig wiederkehrende Ver- haltensweisen in einer Gemeinschaft. Auch das Feiern des Geburtstages ist ein Brauch. Innerhalb einer Familie dem Geburtstagskind etwas zu schen- ken, ist ganz selbstverständlich und wird auch von allen erwartet – es ist eine soziale Norm! Ähnliches gilt auch für andere Le- bensgewohnheiten, die so genannten Sitten. Dazu gehören u. a. die Tisch- oder Kleidersitten (z.B. das Tragen von Trauerkleidung bei einem Begräbnis). Strengere Normen schreiben die ver- schiedenen Religionsgemeinschaften vor – man denke an die Einhaltung der Zehn Gebote oder die Vorschriften des Korans. In unserer heutigen Gesellschaft sind wir in verschiedenste soziale Systeme einbezogen: am Arbeitsplatz (Schule), im Freundeskreis, im Sportverein usw. Überall dort gibt es bestimmte Verhal- tensnormen. Wer sich daran nicht hält (z. B. unkollegiales Verhalten im Klas- senverband), wird in der jeweiligen Ge- Blick in den Gerichtssaal des Bezirks- und Kreisgerichts Wiener Neustadt. 104 Politische Bildung – Kompetenztraining Läng schnitt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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