Physik compact, Basiswissen 8, Schulbuch

72 Mikrokosmos 22 Trotz aller Sicherheitseinrichtungen ist es in der Ver- gangenheit in Kernkraftwerken wiederholt zu Stör- fällen gekommen, die nicht immer beherrscht wer- den konnten. Windscale-Unfall (1957, Großbritannien) Bei Wartungsarbeiten begann der Moderator Graphit zu brennen. Der luftgekühlte Reaktor konnte erst durch das Einleiten von Wasser gelöscht und gekühlt werden. Als Folge wurde I-131 mit einer Aktivität von wenigstens 10 15 Bq frei, Millionen Liter Milch wurden ungenießbar, über Gesundheitsschäden der Bevölke- rung wird noch heute diskutiert. Harrisburg-Unfall (1979, USA) Aufgrund technischer Mängel und Bedienungsfehler geriet der Reaktor (bei Three Mile Island) außer Kont- rolle, der Reaktorkern schmolz. Der Sicherheitsbehäl- ter verhinderte weitgehend ein Austreten von radio- aktiv verseuchtem Material. Tschernobyl-Katastrophe (1986, Ukraine) Im Rahmen fahrlässiger Versuche geriet der Reaktor außer Kontrolle. Nach der Explosion des Reaktorker- nes begann das Moderatormittel Graphit zu brennen. Gewaltige Mengen an Radioaktivität (≈ 10 18 Bq) wur- den am Unfallort und in weitem Umkreis als radio- aktiver Niederschlag (fallout) frei. In Europa waren auf Grund der Witterung Ukraine, Weißrussland, Ös- terreich, Deutschland und Skandinavien am meisten davon betroffen (vor allem 131 I und 137 Cs). Als Folge der Explosion und der direkten Verstrahlung waren in der näheren Umgebung des Kernkraftwerkes zahlreiche Tote zu beklagen. Über die Langzeitwirkungen gibt es verschiedene Auffassungen: Fest zu stehen scheint, dass die Zahl der Krebserkrankungen in der Ukraine undWeißrussland signifikant zugenommen hat. Fukushima (2011, Japan) Am 11. März 2012 wurden vier von sechs Reaktor-Blö- cken des Kraftwerks von einem Tsunami zerstört, der durch ein Erdbeben ausgelöst wurde. In zwei Blöcken kam es zur Kernschmelze.150000 Menschen mussten das umliegende Land verlassen (20-km-Evakuierungs- zone). A1 Erkundige dich nach dem aktuellen Stand! Die folgenden Aufgaben sollen Grundlagen für Dis- kussionen im Rahmen der Klasse sein. Die Themen sind durchwegs fächerübergreifend. Besorge dir da- her Informationen aus dem Chemie-, Biologie-, Geo- grafie- und Geschichteunterricht! Zahlenmaterial und aktuelle Informationen können eventuell bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), Wien, eingeholt werden. A2 Vergleiche und diskutiere mit deinen Klassen- kameraden die obigen Störfälle mit anderen Indus- trieunfällen (zB Chemie-Unfälle in Seveso/Italien, in Bhopal/Indien und in Toulouse/Frankreich)! A3 Die Energieversorgung Österreichs ist zu einem Großteil vom Import fossiler Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas) abhängig. Diskutiere in Zusammenhang mit dem „Erdölschock“ (1973) und dem Golfkrieg (1990), ob die Erzeugung elektrischer Energie aus Kernkraft- werken mögliche Folgen eines Energieengpasses mil- dern könnten! A4 1978 fand in Österreich eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Tull- nerfeld (Zwentendorf) statt. Zu diesem Zeitpunkt war kein einziger Störfall mit tödlichen Verletzungen des Bedienpersonals bekannt; die Auswirkungen des Be- triebs von Kernkraftwerken auf die Umwelt wurden allgemein als harmlos dargestellt; an den Grenzen zu Österreich waren bereits zahlreiche Kernkraftwerke der Nachbarländer in Betrieb. Diskutiere mit deinen Klassenkameraden die möglichen Ursachen, warum das Ergebnis der Volksabstimmung dennoch gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes lautete (Angst bzw. Unwissenheit der Bevölkerung, Weitblick der österreichischen Staatsbürger, massive Werbung der Elektrizitätswerke, Auftreten von Kernkraftwerks- gegnern, parteipolitische Situation um 1978, etc.)! A5 1975 gab es in 5% der österreichischen Haushalte einen Geschirrspüler; nur die Hälfte der Haushalte war mit einer Waschmaschine ausgestattet. Schätze die derzeitige Ausstattung der österreichischen Haushal- te mit Geräten mit hohem Strombedarf und diskutie- re, auf welche Weise die elektrische Energie erzeugt werden kann! A6 Der Transport ausgebrannter Brennelemente (zB „Castor“, Deutschland) ist Grundlage heftiger Kontro- versen. Beurteile die physikalische Relevanz von Pro- testaktionen bzw. die zusätzlichen Kosten durch den notwendigen Einsatz starker Exekutivkräfte! Abb. 72.1 Der Tsunami erreicht das Kraftwerk Fukushima am 11. März 2012. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=