Physik compact, Basiswissen 8, Schulbuch
68 Mikrokosmos 22 Zur Energiegewinnung werden nur die Kernspal- tungsreaktionen verwendet, bei denen im Mittel mehr als ein Neutron pro Spaltung frei wird. Dies ist mit 233 U, 235 U und 239 Pu möglich. Natürliches Uran be- steht zum Großteil aus 238 U und nur zu etwa 0,7% aus 235 U; es muss auf etwa 3% 235 U angereichert werden, um es als Kernbrennstoff verwenden zu können. 233 U und 239 Pu werden durch Neutronenbeschuss künstlich erzeugt. Ob die Spaltneutronen weitere Kerne spalten können, hängt von der Masse des spaltbaren Materials, von der Bauart des Reaktors und von der Geschwindigkeit der Neutronen ab: Durchdringt ein Neutron eine bestimmte Menge von 235 U, so vermag es nur dann einen weiteren Kern zu spalten, wenn es auf einen Atomkern trifft (vgl. Streu- versuch von Rutherford). Je mehr spaltbares Material vorliegt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies der Fall ist. Ab einer bestimmten Masse bewirken die freigewordenen Neutronen sicher weitere Kern- zerfälle. Diese Masse wird kritische Masse (critical mass) genannt. Die kritische Masse beträgt für 235 U etwa 50 kg. Neutronen, die das spaltbare Material verlassen, ge- hen für weitere Kernspaltungen verloren. Deshalb werden Kernreaktoren von Neutronenreflektoren umgeben, die Neutronen teilweise zurück streuen. Ein Urankern vermag nur so genannte thermische Neutronen zu binden, deren Geschwindigkeit in der Größenordnung der Wärmebewegung liegt. Da die bei der Spaltung frei werdenden Neutronen sehr schnell sind (Bewegungsenergie einige MeV), müssen sie abgebremst werden. Dies geschieht, indem sie ei- nen Moderator (moderator) durchdringen. Insgesamt vergleicht man die Zahl der Neutronen, die vor einer Spaltung vorliegen, mit der Zahl der Neutro- nen, die nach der Spaltung weitere Kerne zu spalten vermögen: Anzahl der Spaltneutronen vor der Spaltung Anzahl der Spaltneutronen nach der Spaltung k = Dieser Quotient k wird Multiplikationsfaktor (multi- plication factor) genannt. Um die Zahl der Spaltneutronen steuern zu können, werden Absorberstäbe (Regelstäbe; zB aus Cadmi- um) zwischen den Brennstäben mit spaltbarem Ma- terial eingebaut: Je weiter sie zwischen den Brenn- stäben heraus gezogen werden, desto größer ist der Multiplikationsfaktor. Für die Zahl der Kernspaltungen pro Sekunde gilt: Kernreaktoren (nuclear reactors) Kernreaktoren dienen zur Erzeugung von radioak- tiven Isotopen bzw. Neutronenstrahlen und zur Er- zeugung von elektrischer Energie. In Kernreaktoren läuft die Kernspaltung unter (weitgehend) kontrol- lierten Bedingungen ab. Die bei der Spaltung frei werdende Bindungsenergie dient als Wärmeenergie zur Erzeugung von Wasserdampf. Dieser treibt eine Turbine, mit der ein Generator schließlich elektri- schen Strom erzeugen kann. Zahlreiche Sicherheits- einrichtungen sollen das Austreten von radioaktiven Stoffen und das unkontrollierte „Durchgehen“ des Reaktors verhindern. 22.6.2 Multiplikations- faktor Kern- spaltungen/s Anmerkung k > 1 nimmt zu Kettenreaktion kommt in Gang k = 1 bleibt gleich Gleichmäßige Ener- giegewinnung k < 1 nimmt ab Reaktion kommt zum Stillstand Beispiel Leichtwasserreaktoren (light-water reactors) „Leichtes“ Wasser (mit Wasserstoff 1 H) wird zugleich als Moderator und als Kühlmittel verwendet. Die Wasserstoffkerne von Wasser eignen sich deshalb besonders zum Abbremsen der raschen Neutronen, weil ihre Masse der Masse der Neutronen entspricht: Beim Stoß gleich schwerer Körper wird ein Großteil der Bewegungsenergie übertragen. BW5/K4.11 Abb. 68.1 Blick in die Reaktorhalle des Forschungsreaktors des Atominstitutes der Technischen Universität Wien. Der eigentliche Reaktor befindet sich innerhalb des gelben Beton- mantels. Es handelt sich um einen sogenannten Schwimmbad- reaktor. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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