Physik compact, Basiswissen 7, Schulbuch

117 19.7 Zusammenfassung und Ausblick Biologie und Bionik – ein Ausblick Pflanzen und Tiere besitzen Eigenschaften, die sich im Verlauf von vielen hundert Millionen Jahren durch Anpassen an die jeweiligen Umweltbedingungen ent- wickelt haben. Gemeinsammit den Mechanismen der Evolution, hat dies in den großen Zeiträumen – seit der Entstehung der ersten Lebewesen sind ungefähr 3,5 Milliarden Jahre vergangen – dazu geführt, dass in der belebten Natur für viele Problemstellungen her- vorragende Lösungen zu finden sind. Auffallend bei der „Qualität biologischer Lösungen“ ist, dass biologische Strukturen in der Regel nicht nur eine Funktion besitzen, auf die sie optimiert werden können, sondern meist zwei oder mehrere Funktionen erfüllen. So müssen zum Beispiel ober­ irdische, aufrechte Pflanzenachsen nicht nur eine ausreichende mechanische Stabilität besitzen, son- dern auch Leitungsfunktionen (Wasser, Assimilate), sowie Speicherfunktion und unter Umständen Photo­ synthesefunktion ausüben. Zudem können Pflanzen und Tiere in gewissem Um- fang auf umweltbedingte Änderungen der mechani- schen Belastungen reagieren und sogar Schäden in begrenztem Rahmen selbst reparieren (zB Knochen- brüche, Schäden an Stämmen und Ästen). Lebewesen und ihre einzelnen Teile (Organe, Gewe- be, Zellen, Zellorganellen) müssen dabei als „multi­ funktionelle“ Strukturen betrachtet werden, die in ihrem vernetzten Zusammenspiel die vielfältigen Lebensprozesse ermöglichen, die ein Lebewesen aus- machen. Da jedes Lebewesen aus einer langen Reihe von Vorfahrenformen hervorgegangen ist, haben sich vielfältige Evolutionsprozesse abgespielt, die schließ- lich zu den heute beobachtbaren Ausprägungen ge- führt haben. Darüber hinaus gehen biologische Konstrukte nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer (Lebensende des Or- ganismus) in der Regel wieder in den natürlichen Stoffkreislauf ein. Sie sind vollständig abbau- und recyclebar. Die im Zuge der Evolution entstandenen „Lösungsvorschläge der Natur“ fallen daher häufig anders aus, als die vom Menschen entwickelten Kon- strukte, die meist nur auf die optimale Lösung einer einzelnen Problemstellung ausgerichtet sind. Dazudauertedie „technischeEvolution“ derMensch- heit lediglich etwa 10 000 Jahre. So ist es bei genau- erer Betrachtung nicht überraschend, dass biologi- sche Evolution und menschliche Technik, häufig zu völlig unterschiedlichen Lösungen für vergleichbare Problemstellungen führen, obwohl sie dieselbe phy- sikalische Umwelt teilen (gleiche Ressourcen, glei- cher Temperatur- und Feuchtigkeitsbereich, gleiche Schwerkraft, gleiche Wind- und Strömungsstärken). Bezeichnend für die unterschiedlichen Problem­ lösungen darf der Leitspruch eines Flugzeugherstel- lers gelten: „Berechnungen unserer Ingenieure haben ergeben, dass eine Hummel nicht fliegen kann“... Die Zukunftschancen der Bionik sind hervorragend: In den letzten Jahrzehnten hat das Wissen um den Aufbau und die Funktionsweise biologischer Struk- turen und ganzer Organismen enorm zugenommen. Komplexe biologische Konstrukte können mittels hochentwickelter Steuer- und Produktionsmethoden technisch umgesetzt werden. Der Erfahrungsschatz der Natur ist noch lange nicht ausgeschöpft. Selbst bei relativ unscheinbaren Lebe- wesen liegen oft Problemlösungen vor, die eben erst verstanden werden. Die nächste Zukunft wird zeigen, ob bionische Forschungen die in sie gesezten Erwar- tungen erfüllen kann, was sich nicht zuletzt an der Ak- zeptanz der Industrie und des Marktes zeigen wird. Damit es aber soweit kommen kann, muss auch in Zu- kunft zweckfreie Grundlagenforschung möglich sein. Gerade zweckfreie Grundlagenforschung weist eine sehr starke Ähnlichkeit mit der biologischen Evolu- tion auf. Schon oft hat sich in kurzer Zeit der Nutzen und die Anwendbarkeit von Erkenntnissen zunächst zweckfreier Grundlagenforschung erwiesen. Nicht zuletzt darf Grundlagenforschung als ein Kultur- gut einer Gesellschaft gelten. Mit der in den letzten Jahrzehnten eingetretenen „Ökologisierung“ unse- rer Zivilisation wird bionische Grundlagenforschung auch in Zukunft eine große Rolle spielen und mög- licherweise helfen, anstehende Umweltprobleme nachhaltig zu lösen. Abb. 117.1 Die Große Klette (links) und ein Klettband (rechts) in der Vergrößerung. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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