Sexl Physik 8, Schulbuch
| 54 1.1 Eine wissenschaftliche Revolution? Die Newton’sche Mechanik folgt einem strikten Determinismus. Die Bahn eines Körpers ist durch die Anfangsbedingungen determiniert (vorherbestimmt), seine Bewegung lässt sich aus der Kenntnis von Ort, Geschwindigkeit und Kräften genau berechnen. Die Möglichkeit der exakten Vorhersage war lange Zeit charakteris- tisch für das Bild der Physik in der Öffentlichkeit. Eine besondere Rolle spielte da- bei die „astronomische Genauigkeit“ der Vorhersagen der Himmelsmechanik, von Sonnenfinsternissen bis zur Wiederkehr von Kometen. Die Quantenphysik zeigte, dass der Determinismus in dieser einfachen Form nicht für den Mikrokosmos gilt: aufgrund der Unschärferelation sind Ort und Geschwindigkeit von Quantenobjek- ten (etwa Elektronen) nicht gleichzeitig beliebig genau messbar, Vorhersagen im atomaren Bereich können immer nur Wahrscheinlichkeitsaussagen sein. Die Erkenntnis, dass es auch im makroskopischen Bereich, also im Anwendungs- bereich der klassischen Physik, prinzipielle Schranken für die Berechenbarkeit gibt, setzte sich zwar erst ab 1970 durch, doch die Problematik zeigte sich bereits wesentlich früher, nämlich in der Mechanik i saac N ewtoN s. Er erkannte, dass es zwar relativ leicht ist, die Bahnen einzelner Planeten unter dem alleinigen Ein- fluss der Sonne zu berechnen, berücksichtigt man aber die gegenseitigen Kräfte der Planeten, dann sind periodische Bahnen Ausnahmen. Für Newton war die of- fensichtliche Stabilität des Sonnensystems ein Beweis für das dauernde Wirken Gottes, der durch sein Eingreifen die Störungen wieder behob. Heute lässt sich das Planetensystem mit Computerrechnungen simulieren. Dabei zeigt sich, dass es in der Anfangszeit des Planetensystems tatsächlich zu Kollisionen gekommen ist. Nach dieser chaotischen Phase stabilisierte sich das Sonnensystem: Himmels- körper mit instabilen Bahnen wurden bei Kollisionen oder nahen Vorbeiläufen aus dem System hinauskatapultiert. 54.4 Modellrechnung: Bahnen von kleinen Himmelskörpern im Schwerefeld eines Doppelsterns. Die schwarze und die rote Bahnkurve unterscheiden sich durch geringfügig ver- schiedene Startpositionen. Zunächst sind die Bahnen nicht zu unterscheiden, doch bald erhalten sie ein völlig unter- schiedliches Aussehen. Die Erkenntnis, dass einfache mechanische Systeme ein sehr kompliziertes und langfristig nicht vorhersagbares Verhalten zeigen können, hat zu einem neuen Bild der Physik geführt. 54.1 Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus der grafischen Darstellung aus dem Randbereich der Mandelbrotmenge, dem sogenannten „Apfelmännchen“ . Beim Hineinzoomen er- kennt man immer wieder neue, ähnliche Struk- turen. Man bezeichnet diese Eigenschaft als Selbstähnlichkeit . Wie du selbst am Computer derartige Grafiken entwickeln kannst, erfährst du am Ende des Kapitels. 54.2 In der Kollision der jungen Erde mit einem unbekannten Planeten entstand vermutlich vor 4,5 Milliarden Jahren der Mond. Derzeit kreuzen sich die Planetenbahnen nicht, doch ist nach einer Modellrechnung eine Kollisi- on von Merkur und Venus in ferner Zukunft möglich. 54.3 Die Saturnringe sind Scheiben aus einzelnen, festen Eis- und Gesteinspartikeln, die um den Saturn – innen schneller als außen – kreisen. Sie weisen Lücken auf, wenn die entsprechenden Umlaufszeiten in einem ganz- zahligen Verhältnis zur Umlaufsdauer eines Saturnmondes stehen. 1 Chaos – Zufall oder Gesetz? In diesem Kapitel erfährst du, − was man in der Physik unter einem chaotischen System versteht, − warum auch Physiker nicht immer alles vorhersagen können, − dass auch einfache Gesetze überraschend komplexe Phänomene hervor- bringen können. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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