Sexl Physik 8, Schulbuch
| 46 Einsperrung bedeutet Bewegung Wie ist im Rahmen des Wellenbildes die Stabilität der Atome zu verstehen, warum können Elektronen im Atom nicht ihre gesamte Energie durch Abstrahlung elektro- magnetischer Wellen verlieren und in den Kern stürzen? Elektronen sind an den Atomkern gebunden, das bedeutet: In einem Raumbereich vom Durchmesser ∆ x = L um den Kern ist das Elektron mit Sicherheit anzutreffen, außerhalb nicht. Dieser Ortsunschärfe ∆ x entspricht eine Impulsunschärfe ∆ p . Das Elektron bewegt sich in alle Raumrichtungen, ohne die Kernumgebung verlassen zu können. Sein mittlerer Impuls ist daher null. Der momentane Impuls p hat die Grö- ßenordnung der Impulsunschärfe ∆ p . Für die kinetische Energie ergibt sich daher E k = = = = Je kleiner also der verfügbare Raum L wird, desto größer wird die kinetische Energie E k , die das Quantenobjekt nach der Unschärferelation mindestens besit- zen muss ( 46.1 ). Es kann daher nicht seine gesamte Energie durch Abstrahlung abgeben. Anders als in der klassischen Physik können Quantenobjekte nie völlig zur Ruhe kommen. Sie haben sogar am absoluten Nullpunkt der Temperatur Bewe- gungsenergie, die sog. Nullpunktsenergie . Der Tunneleffekt Mit der Wellenmechanik konnte der lange Zeit unverstandene α -Zerfall erklärt werden. Beispielsweise zerfällt das Uranisotop U-238 mit einer Halbwerts- zeit von ca. 4,5 Mrd. Jahren in Thorium Th-234, wobei ein Helium-Kern emit- tiert wird. Warum zerfällt U-238 nicht sofort? Offensichtlich hält wie bei einem Tropfen Wasser eine „Oberflächenspannung“ die Kernbestandteile zusammen. Wie groß ist diese Oberflächenspannung ungefähr, wie viel Energie müsste man zur Abtrennung des α -Teilchens aufbringen? Streuexperimente mit gelad- enen Teilchen ( α , Protonen) zeigen, dass etwa 40 MeV auf den Kern übertragen werden müssen, um ein α -Teilchen heraus zu schlagen. Wie kann dieser große Energiebetrag im Uranzerfall aufgebracht werden? Wir können uns folgendes Bild machen ( 46.2 ): Im Urankern bilden zwei Pro- tonen und zwei Neutronen kurzzeitig ein α -Teilchen. Zwischen ihm und seinen Nachbarn im Kern wirken starke anziehende Kräfte (Kernkraft). Im Kernin- neren kann sich das α -Teilchen frei bewegen, da es nur seine Nachbarn wech- selt. Am Kernrand wirkt die Anziehung einseitig, das α -Teilchen wird zurück- gehalten. Wenn sich das α -Teilchen weit genug von den restlichen anziehenden Nukleonen entfernen kann, dann wirkt nur die elektrische Abstoßung zwischen dem positiven Restkern und dem α -Teilchen, und es fliegt davon. Dem α -Teilchen „hilft“ die Unschärferelation ∆ E ·∆ t ≈ h . Für die Zeitdauer ∆ t kann seine Energie um den Betrag ∆ E unbestimmt sein, es kann sich diesen Betrag kurzfristig ausborgen. Kann es in der Zeit ∆ t den Anziehungsbereich des Kerns verlassen, wird es frei. Die benötigte Energie ∆ E ist sehr groß, daher ist die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Fluchtversuchs sehr klein, entspre- chend groß ist die Halbwertszeit. 46.3 illustriert diesen Tunneleffekt . Quantenobjekte können wegen des Tunneleffekts Barrieren überwinden, die für klassische Teilchen unüberwindbar sind. Der Tunneleffekt ermöglicht den α -Zerfall. Anwendung findet der Tunneleffekt u. a. im Rastertunnelmikroskop (RTM, sie- he auch Physik 7). Die Elektronenverteilung im Festkörper endet nicht abrupt an der Oberfläche, sondern bildet über ihr eine Wolke. Nähert man eine Metall- spitze einer leitenden Oberfläche (Metalle, C, Si) auf etwa 1 nm , fließt bei Anle- gen einer Spannung ein elektrischer Strom, der Tunnelstrom. Seine Größe hängt stark vom Abstand ab. g erd b iNNig und h eiNrich r ohrer nutzten diesen Effekt erstmals im Jahr 1981 zur Abbildung von Oberflächen ( 46.4 , Physik 7, S. 4). 1 2 E 1 E = E 2 1 4 E k x L 1 L 2 46.1 Das Quadrat der Wellenfunktion bei Einsperrung eines Quantenobjekts in Kästen verschiedener Größe (1, 2). Steht einem Quan- tenteilchen nur der halbe Raum zur Verfügung (2), vervierfacht sich seine Energie. Abstand Energie α -aktiver Kern Kernkraft elektrische Abstoßung 46.2 Im α -aktiven Kern bewegt sich ein α -Teilchen im Kraftfeld der restlichen Nukle- onen. Am Rand wird es durch die Kernkraft zurückgehalten. Mit geringer Wahrscheinlich- keit kann es den Anziehungsbereich verlassen, es wird dann durch die elektrische Abstoßung weggeschleudert. A B C D E 46.3 Der Tunneleffekt auf der Quanten- Hochschaubahn. Obwohl der Wagen bei A wegfuhr und die Kuppe bei D nicht erreichen konnte, fährt er bei E die Rampe hinab, als ob er das Stück CE in einem Tunnel zurückgelegt hätte. Piezosteuerung Rückkopplung U x y z Probe Spitze Tunnelstrom Oberflächenstruktur Abstand L I T 46.4 Prinzip des Rastertunnelmikroskops (RTM). Die Spitze wird so gesteuert, dass ein konstanter Strom fließt. Aus der vertikalen Ver- schiebung der Spitze wird ein Höhenprofil der Oberfläche gewonnen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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