Sexl Physik 8, Schulbuch

| 18 Zur Beurteilung des Ganges einer bewegten Uhr ist also ein Satz von mindestens zwei synchronisierten Uhren erforderlich, welche die Zeit t angeben. Die „gedehn- te“ Zeit t’ wird dagegen an einer Uhr abgelesen, die sich an dem Uhrensatz vorbei bewegt. Im Sinne des Relativitätsprinzips ist es gleichgültig, ob wir den synchro- nisierten Uhrensatz oder die eine Uhr als ruhend oder bewegt betrachten. Nur die Relativbewegung ist für die Zeitdilatation ausschlaggebend. Die Vorhersage der Zeitdilatation war das sensationellste Ergebnis der Relativi- tätstheorie. Die Messung der Zeitdilatation erwies sich aber als überaus schwierig. Historisches Experiment: Myonenzerfall 18.1 Das Experiment wurde 1959 im Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf durchgeführt. Zur Messung der Zeitdilatation wurden Myonen benützt. Diese Elementar- teilchen gleichen in vielen Eigenschaften den Elektronen. Myonen sind jedoch instabil und zerfallen bereits wenige Millionstel Sekunden nach ihrer Entstehung. Hätte man z. B. zum Zeitpunkt t = 0 insgesamt 10 000 Myonen erzeugt und könnte man sie in einem Ge- fäß aufbewahren, so fände man nach einer Mikrosekunde nur mehr 6347 davon vor, nach 1,52 μ s sogar nur mehr 5000 Myonen, also die Hälfte. Man bezeichnet daher T 1/2 = 1,52 μ s als die Halbwertszeit der Myonen. Der Myonenzerfall folgt einem Exponentialgesetz, wie dies auch für den Zerfall von radioaktiven Isotopen der Fall ist ( 18.1 ; s. S. 87). In dem hier beschriebenen CERN-Experiment beobachtete man den Zerfall von Myo- nen, die nicht ruhten, sondern mit der Geschwindigkeit v = 0,999 42 c in einem Spei- cherring kreisten. Wir können die kreisenden Myonen als bewegte Uhren ansehen. Wegen der Zeitdilatati- on erscheint ihr Zerfall einem ruhenden Beobachter verlangsamt. Die Halbwertszeit der kreisenden Myonen vergrößert sich daher auf den Wert Die Messungen bestätigten diese Vorhersage der Relativitätstheorie, wobei die Mess- genauigkeit 0,1 % betrug ( 18.2 ) . Historisches Experiment: Hafele-Keating 18.2 Heute kann die Zeitdilatation mit Atomuhren nachgewiesen werden, wobei die Ge- schwindigkeit von Flugzeugen ausreicht, um messbare Effekte hervorzurufen. Das ers- te derartige Experiment wurde im Jahre 1971 von den amerikanischen Physikern J oseph h aFele und r ichard k eating durchgeführt ( 18.3 ). An der Universität Heidelberg wurde 2002 die Zeitdilatation durch die Messung der Strahlungsfrequenz von Ionen, die sich mit 6 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegten, auf 9 Dezimalstellen genau bestätigt. 0 1 2 3 4 5 6 t in µ s 0 2500 5000 7500 10000 Zahl der Myonen 1,52 µ s 1,52 µ s Messpunkte (mit statistischen Fehlergrenzen) theoretische Zerfallskurve (Exponentialzerfall) 18.1 Der Zerfall der Myonen gehorcht einem exponentiellen Gesetz. Nach T 1/2 = 1,52 µs ist jeweils nur die Hälfte der ursprünglich vorhan- denen Myonen übrig geblieben, falls die Teilchen ruhen. Zerfallskurve von Myonen im Speicherring Zerfallskurve von ruhenden Myonen 10 20 30 40 50 60 0 t in µ s 0 2500 5000 7500 10000 Zahl der Myonen 18.2 Die im Speicherring kreisenden Myonen zerfallen infolge der Zeitdilatation wesentlich langsamer als ruhende Myonen. Im CERN-Experiment verlängert sich die Halb- wertszeit um den Faktor 29,4 auf 44,6 µs. 18.3 h aFele und k eating mit vier Atomuhren an Bord eines Verkehrsflugzeuges (aus TIME vom 18. Oktober 1971). 18.4 Ansicht des Experiments beim CERN (Genf, Schweiz), bei dem die Lebensdauer von kreisenden Myonen gemessen wurde. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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