Sexl Physik 8, Schulbuch

113 | 2.8 Standardmodell und das Higgs-Teilchen Die schwache Wechselwirkung mit W + , W – und Z 0 und die elektromagnetische Wechselwirkung mit dem Photon γ als Überträger der Kräfte haben sich als ver- schiedene Aspekte einer einzigen elektro-schwachen Wechselwirkung erwiesen. Bei den Bedingungen, wie sie kurz nach dem Urknall (s. S. 130) herrschten, waren die beiden Wechselwirkungen nicht zu unterscheiden. Erst mit Sinken der Tempe- ratur wurden sie verschieden stark und dadurch unterscheidbar. Bei der Formulierung der Gesetze der elektro-schwachen Wechselwirkung stellte sich folgende Frage: Warum haben die W- und Z-Teilchen anders als die Photonen Masse? Die heute akzeptierte Antwort klingt nach einem reinen Fantasieprodukt, man könnte sie fast als Zaubertrick ansehen: Es wird die Existenz eines hypothe- tischen Feldes, des Higgs-Feldes, postuliert. Die Antwort zeigt, dass wir noch weit entfernt sind, den Aufbau der Welt zu verstehen – das umso mehr, als nach den Erkenntnissen der Kosmologie die uns bekannte Materie nur einen kleinen Teil des Universums darstellt (s. S. 132 ff). Wie Photonen zu elektromagnetischen Feldern gehören, sollte es zum Higgs-Feld auch Higgs-Teilchen geben: Das Higgs-Feld existiert im gesamten Raum und er- zeugt fortwährend virtuelle Higgsteilchen . Die Wechselwirkung der ursprünglich masselosen W-Teilchen und der Quarks bzw. Leptonen mit dem Higgsfeld gibt die- sen Teilchen Masse . Eine häufig gebrauchte Analogie zeigt 113.1 . Reelle Higgs-Teilchen sollen nach dieser Vorstellung eine sehr große Masse be- sitzen und lassen sich daher nur in Teilchenkollisionen mit sehr hohen Energien erzeugen. Es ist ein Ziel der Experimente am CERN-Beschleuniger LHC, dieses Higgs-Boson zu finden. Im Juli 2012 wurde die Entdeckung eines Teilchens mit ei- ner Masse von etwa 140 Protonenmassen bekannt gegeben, das mit großer Wahr- scheinlichkeit das gesuchte Higgs-Boson ist ( 113.2 ). Die Theorie der elektro-schwachen Wechselwirkung und der Quark-Gluon- Wechselwirkung wird insgesamt als Standardmodell der Teilchenphysik bezeich- net. Es wird erfolgreich zur Deutung eines Großteils der Phänomene verwendet, doch bleiben viele Fragen offen. Wenig erfolgreich verlief bisher der Versuch, die elektro-schwache Wechselwir- kung mit der starken Farbkraft zu vereinen. Diese GUT , Grand Unified Theory , sagt die Instabilität des Protons voraus. Bisher konnte allerdings kein einziger Protonzerfall beobachtet werden. Im nächsten Schritt sollte die GUT mit der Gravi- tation zu einer TOE , Theory of Everything , vereinigt werden. Da man aber immer noch keine Quantentheorie der Gravitation aufstellen konnte, wird dieses Ziel noch lange nicht erreicht werden. Kraft Betroffene Teilchen Reich- weite Relative Stärke Träger- teilchen Rolle im Universum Starke Kraft Quarks 10 –15 m 1 Gluonen bindet Quarks zu Protonen, Neutronen und weiteren Baryonen und Mesonen, bindet Atomkerne Elektroma- gnetische Kraft geladene Teilchen • 10 –2 Photon bestimmt die Struktur von Atomen, Molekülen, Flüssig- keiten und Festkörpern Schwache Kraft Quarks und Leptonen 10 –18 m 10 –5 W + , W – , Z 0 ermöglicht langlebige instabile Atomkerne und die Kernfusion in der Sonne Schwerkraft alle • 10 –40 Graviton (?) bindet die Materie zu Pla- neten, Sternen und Galaxien Offene Probleme der Teilchenphysik − Warum gibt es drei Teilchengenerationen? − Wie kommen die verschiedenen Massenwerte der Leptonen, Quarks und W- und Z-Teilchen zustande? Gibt es mehrere Higgsfelder? − Warum besteht das Universum nur aus Materie und nicht wenigstens teilweise aus Antimaterie? − Wie kann man eine Quantentheorie der Gravitation formulieren? 113.1 Analogie zwischen Higgsfeld und einer Party: Oben: Die weniger wichtigen Partygäste stellen gleichmäßig verteilt das Higgs-Feld dar. Unten: Eine berühmte Persön- lichkeit betritt den Raum und wird umringt, ihre Beweglichkeit nimmt ab, d. h. ihre Masse nimmt zu. 113.2 In den großen Detektoren am LHC (CERN) entstehen bei der Kollision zweier Protonen zahlreiche Teilchen. Die Bahnen geladener Teilchen werden registriert, deren Energien durch Balken dargestellt. In diesem Bild stellen die langen Striche vom Zentrum des Detektors nach außen ein e + e – - bzw. ein µ + µ – -Paar dar. Vermutlich sind dies die Zerfalls- produkte eines Higgs-Teilchens. Sie können im Prozess H ¥ Z 0 +Z 0 , Z 0 ¥ e + +e – , bzw. µ + +µ – entstanden sein. 113.3 Die vier fundamentalen Kräfte der Natur Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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