Sexl Physik 8, Schulbuch
| 100 Reaktorsicherheit Im Normalbetrieb eines Reaktors ergeben sich nennenswerte Belastungen der Um- gebung nur – wie in jedem anderen thermischen Kraftwerk – durch die Abwärme. Diese ist etwa doppelt so hoch wie die elektrische Leistung. Die Abwärme wird an die Umgebung abgegeben (Kühltürme, Flüsse). Die vom Reaktor ausgehende Gam- ma- und Neutronenstrahlung wird mittels Wasser und Beton abgeschirmt. Die Sicherheitsanforderungen an ein Kernkraftwerk sind wegen des außer- gewöhnlichen Gefährdungspotenzials besonders hoch: − Die Kernspaltung muss ständig unter Kontrolle gehalten werden. − Radioaktive Stoffe dürfen nicht entweichen. − Es muss ständig für Kühlung gesorgt werden. − Störfälle müssen durch das Abschalten des Reaktors und das Überleiten in ei- nen sicheren Zustand beherrscht werden. In einem modernen Kernkraftwerk sind mehrfache Notkühleinrichtungen vor- handen, um einen Störfall unter Kontrolle zu halten. Bei einem Versagen der Not- kühlsysteme erhitzt sich der Reaktorkern durch die Nachzerfallswärme. Ohne Kühlung führt dies zur Kernschmelze. Die Regelstäbe eines Reaktors fahren bei einer Störung in den Reaktorkern, wo- durch die Kettenreaktion sofort unterbrochen wird. Eine Schwachstelle stellt bei älteren Kraftwerken das Material des Reaktordruckbehälters dar, da es aufgrund der ständigen Bestrahlung durch Neutronen leicht spröde wird. Der Reaktordruckbehälter ist von einer 25 cm dicken Schale aus Stahl umgeben, darüber liegt bei modernen Kernkraftwerken eine 1,5 m dicke Stahlbetonkugel ( Containment ), die auch vor Flugzeugabstürzen, Erdbeben usw. schützt. Das Con- tainment kann großen Druck standhalten und so ein Entweichen von radioaktiven Substanzen verhindern. Störfälle Auftretende Zwischenfälle konnten bisher immer unter Kontrolle gehalten werden – mit drei Ausnahmen: den Unfällen von Harrisburg, USA (1979), Tschernobyl, Uk- raine (1986), und Fukushima, Japan (2011). Schwere Störfälle wurden ursprünglich als GAU (größter anzunehmender Unfall) bezeichnet. Darunter verstand man einen Bruch der Hauptkühlmittelleitung. Heute spricht man von Auslegungsstörfällen . D. h. bei der Planung müssen alle Möglich- keiten von Ereignissen berücksichtigt werden, die durch technisches oder mensch- liches Versagen zu Störfällen führen können. In dieser Terminologie ist ein GAU ein Störfall, der zu keiner unzulässigen Beeinträchtigung der Umwelt führt. Bei einem Super-GAU , einem auslegungsüberschreitenden Störfall, ist dies nicht mehr der Fall. Eine weitere Einteilung von Störfällen bietet die von der Internationalen Atom- energiebehörde erstellte siebenstufige INES-Skala . Stufe 7 bedeutet, dass die An- lage zerstört ist, dass es zu schwersten Freisetzungen radioaktiven Materials in einem weiten Umfeld kommt, die unmittelbare Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt haben und dass gesundheitliche Spätfolgen über große Gebiete, ggf. in mehr als einem Land zu erwarten sind. In diese Klasse fallen die beiden Reaktorunfälle 1986 in Tschernobyl und 2011 in Fukushima. Etwa 10 % der derzeit in Betrieb befindlichen Reaktoren gelten als gefährlich. Ein Risiko stellen veraltete Reaktoren dar, welche den heute an sie gestellten Sicher- heitsanforderungen nicht genügen, aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht abge- schaltet werden. Eine Versicherung für Unfallfolgen gibt es weltweit nicht. Die unmittelbare Belastung der Bevölkerung nach einem radioaktiven Fallout kann bei rechtzeitiger, korrekter Information durch geeignete Maßnahmen wesentlich reduziert werden (s. S. 91). In Österreich gibt es ein flächendeckendes Strahlen- frühwarnsystem mit 111 Messstationen. Im Falle eines Strahlenalarms verständigt ein staatlicher Krisenstab die Bevölkerung über Rundfunk, Fernsehen und Laut- sprecher. 8 9 10 11 12 13 1 2 3 4 5 6 7 17 18 19 16 15 14 Reaktor stillgelegt Reaktor in Betrieb 100.1 Laut einer 2012 durchgeführten Sicher- heitsüberprüfung der EU müssen folgende AKWs nachrüsten bzw. die Sicherheit ihrer Anlagen verbessern: die AKWs Paks (Ungarn), Dukovany und Temelin (Tschechien), Bohunice und Mohovce (Slowakei), Krsko (Slowenien). Die Atommeiler in Deutschland sollen schritt- weise bis 2022 auslaufen, die AKWs in der Schweiz erfüllen alle Anforderungen. 1 Biblis 2 Grafenrheinfeld 3 Phillippsburg 4 Neckarwestheim 5 Gundremmingen 6 Isar 7 Niederaichbach 8 Temelin 9 Dukovany 10 Bohunice 11 Mochovce 12 Paks 13 Krsko 14 Caorso 15 Enrico Fermi 16 Leibstadt 17 Beznau 18 Gosgen 19 Mühleberg 100.2 1978 fand in Österreich eine Volks- abstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf (NÖ) statt. Die österreichische Bevölkerung entschied sich gegen die Nutzung von Kernkraftwerken. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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