Sexl Physik 7, Schulbuch
| 6 Miniaturisierung elektronischer Schaltkreise – Hörhilfen werden stetig verbessert Ein Beispiel, wie die physikalische Forschung zunächst auf grundlegende Erkenntnisse und dann sehr schnell zu praktischen Anwendungen führt, ist die Halbleiterphysik (s. S. 92). Die Ergebnisse der Grundlagenforschung in der ersten Hälfte des 20. Jh. führten ab 1960 zur Entwicklung der Halbleiterindustrie. Den Ersatz von menschlicher Ar- beitskraft durch die Dampfmaschine bezeichnet man als industrielle Revolution , den Wandel der Technik (Steue- rungstechnik und Kommunikationswesen) und unseres Nutzungsverhaltens als digitale Revolution . Die Miniaturisierung der elektronischen Bauteile durch Transistoren und integrierte Schaltkreise hat neben vielen anderen Anwendungen den PC, den persönlichen Computer in seinen vielfältigen Formen, und die Mobiltelefonie er- möglicht. Am medizinischen Beispiel der Hörprothese für das Innenohr, einer österreichischen Entwicklung, wird das Zusammenspiel von Grundlagenforschung und Anwendung deutlich. Bei taub geborenen Kindern mit intaktem Hörnerv und auch bei später Ertaubten fehlen z. B. die Haarzellen, welche die analoge Druckwelle des Schalls in der Gehörschnecke in Nervenimpulse umwandeln. Um diesen Personen wieder ein Hören zu ermöglichen, wird der intakte Hörnerv direkt durch eine Elektrode mit insgesamt 12 in der Schnecke ver- teilten Kontakten elektrisch stimuliert. In einem Signalprozessor wird der Schall nach Frequenz und Lautstärke analysiert. Zur Signalanalyse werden mo- derne mathematische Verfahren verwendet. Die Informa- tion wird an den Stimulator übertragen, der elektrische Pulse über feine elektrische Leitungen an die Nervenfasern des Hörnervs im Innenohr überträgt. Die elektrischen Im- pulse der Nervenfasern erreichen schließlich das Hörzen- trum im Gehirn. Da Nervenfasern auch Erholungspausen brauchen, feuern sie maximal etwa dreihundert Mal pro Sekunde (300 Hertz). Höhere Frequenzen ergeben sich aus dem zeitlich versetzten Feuern verschiedener Fasern. Die Miniaturisierung der Elektronik ermöglicht eine kompakte Bauweise des Stimulators, so dass er unter die Kopfhaut im- plantiert werden kann. Energieversorgung und Signalüber- tragung erfolgen vom Signalprozessor (mit Mikrofon und kleiner Batterie), der hinter dem Ohr getragen wird, über hochfrequente elektromagnetische Schwingungen nach dem Induktionsprinzip. Die Datenrate erreicht 600 kbit/s und ermöglicht Hören in einem Frequenzbereich von 70 Hz bis über 8 000 Hz – sie bringt damit auch wieder Musik- genuss. Da die gesamte Information über nur 12 Kontakte übertragen wird (zum Vergleich: Im gesunden Ohr gibt es etwa 20 000 Nervenfasern), ist dieser Musikgenuss etwas eingeschränkt, während die Sprache robuster ist und weni- ger strenge Anforderungen an die Signalverarbeitung stellt. Interessant ist auch die Geschichte der Entwicklung: Von der Idee im Jahr 1975 zur ersten implantierten Elektrode vergingen nur zwei Jahre, aber erst die Miniaturisierung der Elektronik erlaubte ab 1989 den Bau der kompakten im- plantierbaren Empfänger. Weltweit erhielten bis 2012 über 200 000 Patienten diese oder ähnliche Hörprothesen. 6.1 Beim Cochlea-Implantat wird der Hörnerv (7) nicht durch die Haarzel- len, sondern durch elektrische Wechselspannungen an Kontaktstellen der Hörschnecke (lat. Cochlea) (6) stimuliert. Dafür wird eine Elektrode (5) in die Hörschnecke verlegt. Der Signalprozessor (1) mit Mikrofon und Batte- rie sowie die Leitung (2) zur externen Spule (3) werden außen am Ohr ge- tragen. Der Empfänger (4) mit Elektrode (5) liegt unter der Kopfhaut. Die externe Spule bildet zusammen mit der unmittelbar darunter liegenden implantierten Spule einen Transformator. 6.2 Implantierbarer Stimulator mit Empfangsspule. Die externe Spule wird magnetisch gehalten. Der dazu notwendige interne Magnet (rund, blau) ist innerhalb der Empfangsspule zu sehen. Das Gerät wird unter die Kopf- haut implantiert und die Elektrode in die Schnecke eingeführt. Die zwölf Stimulations-Kontakte sind als Punkte im dünnen Teil der Elektrode zu se- hen. Der Stromfluss wird über eine großflächige Elektrode auf dem Metall- gehäuse geschlossen. 6.3 Die in die Gehörschnecke eingesetzte Elektrode (lila) stimuliert mit ihren Kontakten mittels Wechselspannung einzelne Fasern des Hörnervs (gelb). Überlege, untersuche, forsche: Hörhilfen 6.1 Überlege, warum es besonders für taub geborene Kleinkin- der wichtig ist, eine Hörprothese zu erhalten. Nur u Prüfzwecken – Eigentu des Verlags öbv
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