Elemente, Schulbuch
54 3 DIe CHeMISCHe ReAKTIOn Die freie Reaktionsenthalpie ∆ G Abnahme der Enthalpie und Zunahme der Entropie begünstigen einen spontanen Reaktionsablauf. Manchmal wirken beide Größen zusammen und verstärken sich gegenseitig, in anderen Fällen ist der Endzustand davon abhängig, welcher Einfluss überwiegt. J. Willard Gibbs (1839–1903) und Hermann von Helmholtz (1821–1894) verknüpften beide Größen zu einer neuen Größe, der freien Enthalpie ∆ G . ∆ G = ∆ H – T • ∆ S T ... absolute Temperatur in K bzw. für Standardbedingungen: ∆ G ° = ∆ H ° – 298 • ∆ S ° Die freie Enthalpie ist das alleinige Maß für die Freiwilligkeit von Reaktionen . Eine Reaktion verläuft bei der Temperatur T spontan, wenn die Änderung der freien Enthalpie kleiner als null ist. Solche Reaktionen nennt man exergon . Ist ∆ G größer als Null, spricht man von einer endergonen Reaktion. Exotherme Reaktionen mit einer Zunahme der Unordnung sind immer exergon. Endotherme Reaktionen können exergon sein, wenn der Unordnungszustand stark erhöht wird. Die Ordnung eines Systems kann vergrößert werden, wenn die Reaktion stark exotherm ist (Abb. 54.2). Aus der Beziehung erkennt man, dass der Entropieterm mit steigender Temperatur an Bedeutung gewinnt. Vereinfacht kann man sagen, dass bei tiefen Temperaturen das Streben nach Energieminimierung überwiegt, während bei höheren Tempera- turen das Streben nach Entropieerhöhung überwiegt. Beispiele: a) Verbrennung von Ethanol: C 2 H 5 OH (l) + 3 O 2(g) → 2 CO 2(g) + 3 H 2 O (l) ∆ H R ° = –1366,8 kJ ⇒ exotherme Reaktion ∆ S R ° = –0,138 kJ/K ⇒ Abnahme der Entropie ∆ G ° = –1366,8 – 298(–0,138) = –1325,7 kJ ⇒ exergone Reaktion Die Reaktion ist bei 25 °C trotz der Entropieabnahme exergon, weil sie stark exo- therm ist. b) Ammoniaksynthese: N 2 + 3 H 2 → 2 NH 3 ∆ H R ° = –92,2 kJ ∆ S R ° = –0,201 kJ/K Unter der Annahme, dass sich die ∆ H - und ∆ S -Werte bei höheren Temperaturen nicht allzu stark von den Standardwerten unterscheiden, soll die freie Enthalpie bei 298 K und bei 800 K verglichen werden. ∆ G ° 298 = –92,2 – 298 • (–0,201) = –32,3 kJ ⇒ exergon ∆ G 800 = –92,2 – 800 • (–0,201) = +68,6 kJ ⇒ endergon Bei hoher Temperatur liegt kein Bestreben zur Ammoniakbildung vor. Die Reaktion ist endergon. Bei hoher Temperatur überwiegt der Entropieterm (Abb. 54.3). Bei allen bisherigen Überlegungen wurde immer ein System betrachtet, das mit der Umgebung im stetigen Energieaustausch steht (zB ein offenes Becherglas, in dem eine Reaktion stattfindet). Dadurch ist es möglich, durch Energieaufnahme einen geordneteren Zustand zu erlangen. Betrachtet man das Universum als Gesamtes, so ist das nicht möglich. Die Gesamtenergie des Universums ist konstant; die Ge- samtentropie des Universums nimmt stets zu. Auf Grund dieser Fundamentalsätze prognostizierte Rudolf E. Clausius (1822–1888) im 19. Jahrhundert den „Wärmetod“ des Weltalls. Wenn die Entropie stetig zunimmt, Energieumwandlungen immer in die „Einbahnstraße Wärme“ führen, kommt einmal der Zeitpunkt, an dem keine Re- aktionen mehr möglich sind, kein Temperaturgefälle mehr besteht und es keinerlei Möglichkeit zur Arbeitsverrichtung gibt. Dann besteht das gesamte Universum aus einem chaotischen Meer von Wärme. All die bisher besprochenen Größen enthalten keinen Zeitfaktor. ∆ G ° < 0 bedeutet, dass eine Reaktion spontan abläuft; ob die Reaktion explosionsartig in wenigen Se- kunden abläuft oder eventuell Jahre zum Ablauf benötigt, ist nicht ersichtlich. In der Praxis spielt aber auch die Reaktionsgeschwindigkeit v eine große Rolle. ■ 54.1: Berechne ∆ G ° für die Bildung von Hydrogenchlorid aus den Elementen ■ 54.2: Berechne die freie Reaktionsen- thalpie ∆ G ° für die Erdgasspal- tung mit Wasserdampf für 1 Mol Methan! ■ 54.3: Eine Reaktion ist exotherm, aber endergon. Welches Vorzeichen hat ∆ S für diese Reaktion? ÜBUNGEN ∆ G = ∆ H – T • ∆ S Abb. 54.1: Die Gibbs-Helmholtz-Gleichung Abb. 54.2: D G und der spontane Reaktionsverlauf -T • ∆S ∆G Spontane Reaktionen ∆G < 0 Erwungene Reaktionen ∆G > 0 ∆H ∆H ∆H ∆H ∆H ∆H -T • ∆S -T • ∆S -T • ∆S -T • ∆S -T • ∆S ∆G ∆G ∆G ∆G ∆G ∆G 0 ∆H –T • ∆S Temperatur ∆G<0 ∆G>0 N 2 + 3 H 2 2 NH 3 Abb. 54.3: Abhängigkeit von D G von der Temperatur Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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