Reichel Mathematik 8, Schulbuch

84 Exkurs 2 Mathematik der Überschwemmungen Im August 2002 wurden weite Teile Österreichs von verheerenden Überschwemmun- gen heimgesucht. Besonders betroffen war das Kamptal in Niederösterreich, das ein 2000- jährliches Hochwasser erleben musste. Damit meint man, dass „auf lange Sicht“ nur durchschnittlich einmal in 2000 Jahren ein solches Ereignis stattfindet. Für zB die Versicherungswirt- schaft ist es wichtig, die Art und Häufigkeit von Überschwemmungen abzuschät- zen, um so die Versicherungsprämien den zu er- wartenden Versicherungsleistungen anpassen zu können. Hier kommt also jedenfalls die Mathema- tik zum Tragen! m 3 /sec 100 200 300 400 500 600 700 0 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. Hochwasser 1996 Pegel Zwettl ausgefallen Jahresmittelwert 150m 3 /sec Abgabe 7,5m 3 /sec Abgabe Fig. 1: Wasserführung des Kamp vom 7. bis 17. August 2002 Die Mathematik kommt aber noch in vielerlei an- derer Hinsicht ins Spiel. Betrachten wir dazu die obige Grafik , in der die EVN als Betreiber der Kamptalkraftwerke den zeitlichen Verlauf des Hochwassers darstellte. Offensichtlich handelt es sich um die Graphen zweier Funktionen. Die eine beschreibt die Was- serführung des Kamp vor der Talsperre Thurn- berg/Wegscheid ( blaue Linie ), die andere seine Wasserführung nach dieser Talsperre ( rote Linie ). Mit anderen Worten: die eine Funktion beschreibt den Zufluss in das Staubecken, die andere den Ab- fluss aus diesem, jeweils in Abhängigkeit von der Zeit. Offensichtlich ist die rote Kurve bei den ho- hen Ausschlägen (ein wenig) „niedriger“ als die blaue. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass die „Hochwasserspitzen“ (ein wenig) gebrochen wurden. So wälzten sich am 8. August 2002 Dank der Rückhaltung im Staubecken pro Sekunde „nur“ Wassermassen von 500 m 3 statt 600 m 3 das Kamptal hinab. Umgekehrt liegt zB in der Zeit vom 10.–12. August die rote Linie meist über der blauen. Hier wurde mehr Wasser aus dem Speicher abgelassen, als diesem zufloss. Man kann dies als vorsorgliche Maßnahme in Hinblick auf die befürchteten (um den 12. und 13. August auch tatsächlich eingetrete- nen) weiteren schweren Niederschläge ansehen. Mit Hilfe der Integralrechnung lässt sich diese qualitative Aussage auch quantifizieren . Denn der Flächeninhalt unter der blauen bzw. roten Kurve gibt die gesamte in einem Zeitintervall zu- bzw. abgeflossene Wassermenge an. Der orientierte Flä- cheninhalt zwischen den Kurven gibt an, um wie viel mehr zu- als abfließt bzw. ab- als zufließt. Allerdings lässt sich diese Rechnung erst im Nach- hinein führen, was ein rechtzeitiges Reagieren im Katastrophenfall unmöglich macht. Daher gibt es Katastrophenpläne, die anhand von realen und vir- tuellen Modellversuchen erstellt wurden. Erstere werden an maßstäblichen „Nachbauten“, zweitere am Computer unter Einsatz von viel Mathematik durchgeführt. Wir wollen eine solche Simulation an einem fiktiven Donauhochwasser demonstrie- ren – wohl wissend, dass die Situationen, die die „Wasserbauer“ hier (rechnerisch) zu bewältigen haben, um vieles komplexer und schwieriger sind. „Bei sehr guter Wasserführung transportiert die Donau 300 Miøø. m 3 Wasser pro Tag, was durch- schnittlich fast 3500 m 3 Wasser pro Sekunde ent- spricht. Bei einem 1000-jährlichen Hochwasser wird dieser „Pegel“ für die Dauer von acht Tagen überschritten. Diese „Flutwelle“ erreicht am Ende des zweiten Tages mit einer Durchflussmenge von fast 14000 m 3 pro Sekunde (wir rechnen im Folgen- den mit 1,2 Mrd. m 3 pro Tag) ihren Spitzenwert. In den folgenden sechs Tagen sinkt – zuerst schnell, dann eher langsam und unmerklich – der Wasser- stand wieder auf seinen ursprünglichen Wert.“ Diese umgangssprachliche Beschreibung der Ab- hängigkeit der Wasserführung von der Zeit gilt es nun in ein formales Modell zu übersetzen. F  1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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