Reichel Mathematik 8, Schulbuch
4 Mathematische Beschreibung dynamischer Systeme und Prozesse In diesem Kapitel wirst du • den Verlauf von Prozessen graphisch darstellen, • aus den Graphiken wichtige Parameter über den Verlauf dieser Prozesse ablesen, • diese Prozesse mathematisch beschreiben und daraus Schlüsse ziehen und • erkennen, wo man das alles in der Praxis anwenden kann. Vorschau und Einführung – Wirkdiagramme 1. Räuber-Beute-Systeme verstehen Sowohl in der Natur als auch in der Wirtschaft und in der Gesellschaft wirken viele verschiedene Ein- flüsse und Faktoren in einem (mehr oder minder) abgeschlossenen System zusammen. Dieses System ist so komplex, dass wir die Konsequenzen unseres Tuns nie vollkommen übersehen können. Gutge- meinte Taten können fürchterliche Folgen haben. So machen Antibiotika Bakterien resistent, direkte Nahrungsmittelhilfe kann Volkswirtschaften ruinieren (Übervölkerung, kaputte Landwirtschaft). In der Natur nennt man so ein System ein Biotop . Darunter versteht man einen Lebensraum, innerhalb dessen ein gewisses Gleichgewicht herrscht: etwa eine große Wiese, ein Waldgebiet, die Hudson Bay. In letzterer betrieb die Hudson’s Bay Company einen ein- träglichen Handel mit Fellen u. a. von Luchsen und Schneehasen. Doch wie die genauen Aufzeichnungen der Company aus den Jahren 1845–1935 zeigen, schwanken die Erträge periodisch. Um das zu erklären, überlegte sich der amerikanische Biophysiker Alfred Lotka Fol- gendes: Da Luchse hauptsächlich von Schneehasen leben und Letztere kaum andere Feinde haben, könnte die Ur- sache darin liegen, dass die Anzahl der Schneehasen von der Zahl der Luchse abhängt. Haben diese zu viele Schneehasen gefressen, haben sie selbst weniger zu fressen, daher geht ihre Zahl zurück, die Zahl der Schneehasen vermehrt sich wieder und so fort. Es besteht daher ein „Kreislauf“ in Form einer „Räuber-Beute-Situation“, der sich – wenn nicht von außen eingegriffen wird – bei einem gewissen periodisch schwankenden „Gleichgewicht“ einpendeln wird. Ähnliches beobachtete man auch in der Adria: Der An- teil der Haie unter den eingebrachten Fischen stieg während des 1. Weltkriegs, während dem der Fischfang stark eingeschränkt war, in verschiedenen Mittelmeer- häfen dramatisch an (die Graphik zeigt den Haianteil in Triest). Dies bildete der italienische Mathematiker Vito Volterra in einem mathematischen Modell nach. Zur übersichtlichen Darstellung eines solchen Systems verwendet man ein Ursache-Wirkungs-Diagramm oder ein Flussdiagramm . Das Ursache-Wirkungs-Diagramm gibt aber nur „ qualitative “ Eigenschaften wieder. In der Praxis ist man aber auch an „ quantitativen “ Zusammen- hängen interessiert. Man will zB Vorhersagen über die zeitliche Entwicklung eines Systems oder über den zu erwartenden zeitlichen Verlauf eines Prozesses (Wettervorhersage!) erstellen. Und das geht oft (erst) durch eine modellhafte, mathematische Beschreibung des Vorganges beziehungsweise Systems. 1.0 FA 1.1 Fig. 1.1 0 20 40 60 80 100 120 140 1845 1855 1865 1875 1885 1895 1905 1915 1925 1935 Jahre Schneehase kanadischer Luchs Anzahl .10 3 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1914 1915 1916 1918 1920 1922 1917 1919 1921 1923 Jahre Anteil der Nutzfische Anteil der Haie 160197-004 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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