Reichel Mathematik 8, Schulbuch

200 II Algebra „Klassische“ Algebra – Gleichungslösen 1. Gleichungen mit einer Variablen Neben der Geometrie war das Lösen von Gleichungen mit einer „Unbekannten“ eine der Wurzeln der Wissenschaft „Mathematik“. Aus moderner Sicht kann man das Lösen einer Gleichung f (x) = 0 auf­ fassen als das Ermitteln der Nullstellen einer Funktion f: y = f (x) . Daraus ergibt sich für (stückweise) stetige Funktionen – also für alle praktisch wichtigen Funktionen – aufgrund des Zwischenwert- bzw. Nullstellensatzes (vgl. Buch 6. Kl. S. 257) folgendes Lösungsverfahren: Da der Graph einer (stückweise) stetigen Funktion (stückweise) „fadenförmig“ verläuft (vgl. Buch 6. Kl. S. 243), kann man ihn durch Verbinden einzelner „aufeinander folgender“ Punkte (näherungsweise) zeichnen. Seine Schnittpunkte mit der x-Achse liefern dann (Näherungswerte für) die Lösungen der ge- gebenen Gleichung. Im besonders wichtigen Fall von algebraischen Gleichungen (siehe weiter unten) kann man die Lage der Nullstellen eingrenzen: Satz Satz von STURM: Die reeøøen Lösungen der Gøeichung  x n + a n – 1 x n – 1 + … + a 1 x + a 0 = 0 øiegen stets im Intervaøø [‒M; M] mit  M = 1 + † a n – 1 † + † a n – 2 † + … + † a 0 † . Die Genauigkeit der Lösungen kann man – wieder aufgrund der Stetigkeit – beliebig steigern, etwa durch Maßstabsänderung, durch dezimales Probieren oder durch binäres Suchen. Ist die Funktion f so- gar differenzierbar, so kann man das (schneller konvergierende) NEWTON’sche Näherungsverfahren (vgl. Buch 7. Kl. S. 154) verwenden. Häufig will man sich nicht mit numerischen Näherungslösungen begnügen, sondern fragt nach den exakten Lösungen. Damit meint man eine explizite Darstellung jeder Lösung durch eine endliche Dezi- malzahl oder durch eine Formel (ein konvergentes Verfahren), welche die Berechnung beliebig vieler Stellen der unendlichen Dezimaldarstellung der gesuchten Lösung zulässt. So ist zB die explizite Dar- stellung x = 2/7 , x = ​ 9 _ 3​ oder x = sin0,5 insofern exakt , als der Divisionsalgorithmus, das HERON’schen Näherungsverfahren (vgl. Buch 6.Kl. S. 120) oder die Reihenentwicklung der Sinusfunktion (vgl. Buch 7. Kl. S. 158f) die Zahl x – im Prinzip – mit jeder gewünschten Genauigkeit liefern kann. Die explizite Darstellung der (exakten) Lösungen von Gleichungen beruht darauf, die gegebene Glei- chung durch Anwendung von Rechengesetzen und Umkehrfunktionen geeignet umzuformen. Welche Methoden geeignet sind, hängt vom Gleichungstyp ab. Algebraische Gleichungen ersten bis vierten Grades lassen sich (ähnlich wie quadratische Gleichungen) stets durch eine Formel exakt lösen, dh. die Lösungen lassen sich explizit durch Terme aus den Koeffi­ zienten der Gleichung darstellen, in denen nur die Grundrechnungsarten sowie Potenzieren und Wur- zelziehen vorkommen. Die Ermittlung dieser Darstellung ist jedoch bei Gleichungen dritten und vierten Grades im Allgemeinen bereits so aufwändig, dass man lieber mit Näherungsverfahren rechnet. Für Gleichungen fünften und höheren Grades existieren prinzipiell – dh. abgesehen von Sonderfällen – kei- ne derartigen exakten Darstellungen der Lösungen (obwohl man natürlich die Lösungen beliebig genau berechnen kann). Tritt die Variable (Unbekannte) x als Argument in einer rationalen Funktion (Quotientenfunktion zweier Polynomfunktionen), in einer algebraisch irrationalen Funktion (Wurzelfunktion einer Polynomfunkti- on) oder in einer transzendenten Funktion (zB Winkel-, Exponential- oder Logarithmusfunktion) auf, so spricht man von Bruchgleichungen, Wurzelgleichungen, goniometrischen Gleichungen sowie Exponen- tialgleichungen und logarithmischen Gleichungen. II.1 x y 0 ‒M M Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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