Reichel Mathematik 8, Schulbuch

177 4 Wir kennen dieses Phänomen aus der Zoologie, wo Herden „Leittieren folgen“, ohne oft den Grund für deren Verhalten zu kennen. Dieses „Folgen“ hat sich im Zuge der Evolution aber offenbar „bewährt“. Auch in der Wirtschaft kennt der Einzelne (meist) nicht den Grund für den Verkauf oder Kauf größe- rer Aktienpakete, aber auch er kauft bzw. verkauft den „Leittieren folgend“ (in der Hoffnung auf mög- lichst große Gewinne bzw. möglichst kleine Verlus- te). Dass dieses Verhalten (gespeist durch Insider- wissen) von Großaktionären gezielt dazu verwendet wird, um Kurse nach oben oder unten zu drücken, ist eine Tatsache. Hier zu moralisieren hat wenig Sinn! Wer will nicht (möglichst viel) gewinnen? Vielmehr gälte es (inter-)nationale Spielregeln geeignet(er) festzulegen und (bessere) Werkzeuge zur Marktstabilisierung zur Verfügung zu stellen. Schon existente Maßnahmen sind die Strafandro- hung für Insidertrading, Stützungskäufe von Noten- banken (zur Festigung des Wechselkurses zwischen verschiedenen Währungen) oder das (vorüberge- hende) Aussetzen des Handels an der Börse (um der Panik eine Abkühlungspause zu gönnen). Zu den Maßnahmen gehört ins- besondere auch die Grundlagen- forschung über das Verhalten dynamischer Systeme (wie sie zB Kursentwicklungen an der Börse darstellen). Berühmt wurde hier in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts der französische Mathematiker René THOM (1923–2002) mit seiner Kata­ strophentheorie . Speziell auf die Natur und Wirt- schaft zugeschnittene Modelle wurden etwa von Benoit MAN- DELBROT (1924–2010) vorge- stellt, zB unter dem Namen „fractial Brownian motion“. Angelehnt daran versucht das folgende Modell den „wild gezackten“ Verlauf eines Wertpapierkurses durch Fraktale zu beschreiben (vgl. Kap. 1 und den Exkurs zu Kap. 3 in diesem Buch). Ausgangspunkt ist ein festes Zeitintervall (zB ein Jahr) und der darin als linear vorausgesetzte Kurs- verlauf. Ähnlich wie bei der Schneeflocken-Kurve (Buch. 6. Kl. S. 163) wird diese (schwarze) gerade Linie nun in einem ersten Schritt durch einen (ro- ten) „gezackten“ Streckenzug aus drei Stücken er- setzt, so als würde man nun genauere Informatio- nen über den Kursverlauf innerhalb des Jahres nachtragen . In einem zweiten Schritt wird nun jedes Teilstück in Fig.2a durch einen „Abkömmling“ (ein geeignet affin verzerrtes Abbild) dieses Stre- ckenzuges ersetzt . In den weiteren Schritten geht man analog vor . So generiert der erste gezackte Streckenzug (über seine „Abkömmlinge“) das Frak- tal und heißt daher Generator des Fraktals , auch wenn das Fraktal erst nach unendlich vielen Schrit- ten entsteht. In der Praxis kann man abbrechen, wenn das Zeitintervall der Dauer einer Handels­ transaktion entspricht, also einigen Sekunden. Mathematische Modelle wie dieses versuchen, unser Verständnis für die Vorgänge in der Wirtschaft (oder auch Natur) zu vertiefen und (besser) steuerbar zu machen. Angesichts unserer zu einem „global villa- ge“ zusammenwachsenden Welt betreffen Systemzu- sammenbrüche, für die Börsencrashs (oder die Um- weltzerstörungen) ja nur Symptome sind, nunmehr bereits das Überleben der gesamten Menschheit. Zu ihrer Abwendung ist nicht weniger, sondern mehr Mathematik gefragt. René THOM Benoit MANDELBROT F  2a F  2b F  2c Fig. 2a–c Generator Preis 1 1 0 Zeit skalierte Form des Generators Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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