Reichel Mathematik 8, Schulbuch
167 4.10 Rückblick und Ausblick 4 Rückblick und Ausblick 1. Den zentralen Grenzwertsatz kennen Blicken wir zurück: In der 7. Klasse haben wir uns ausschließlich mit diskreten Verteilungen beschäf- tigt, insbesondere mit der Binomialverteilung. In der 8. Klasse haben wir uns nun auch mit stetigen Ver- teilungen beschäftigt, insbesondere mit der Normalverteilung. Warum haben wir gerade diese beiden Verteilungen so besonders herausgestrichen? Die Antwort lautet: weil diese beiden Verteilungen sehr viele in der Praxis wichtige Situationen ange- messen modellieren. Für die Binomialverteilung haben wir diese Situation auch klar herausgearbeitet: Wird ein Versuch (unter den gleichen Bedingungen) mehrmals wiederholt und betrachtet man dabei nur die Anzahl X , mit der ein gewisses (Erfolgs-)Ereignis eintritt, so ist X binomialverteilt. Für die Normalver- teilung haben wir diese Situation bisher nicht so klar herausgestellt. Wir wollen dies nun nachholen. Die Bedeutung der Normalverteilung gründet sich auf den zentralen Grenzwertsatz , der (in vereinfach- ter und verallgemeinerter Form) wie folgt formuliert werden kann: Satz Zentraøer Grenzwertsatz: Eine Summe X von sehr vieøen (praktisch) unabhängigen Zufaøøsvariabøen X i ist nahezu normaø verteiøt, wenn jeder Summand X i auf den Wert der Summe nur geringen Einføuss hat. Wenn auch der Beweis dieses Satzes unsere Möglichkeiten übersteigt, so können wir ihn doch aus der Approximation der Binomialverteilung durch die Normalverteilung heraus motivieren. Wir verwenden dazu die folgende Modellvorstellung : Bei einer Füllanlage werden Arzneifläschchen tropfenweise gefüllt. Um eine Flasche zu füllen, wird die Tropfvorrichtung 1000 -mal betätigt. Dabei löst sich mit Wahrscheinlichkeit p = 0,98 tatsächlich ein Tropfen 1 und fällt in die Flasche. Der Inhalt der Flasche wird somit durch die Anzahl der erfolgreichen „Tropfversuche“ bestimmt, wobei ein einzelner Tropfen (Summand X i ) zum Flascheninhalt (Summe X ) nur wenig beiträgt. Die An- zahl der Tropfen ist binomialverteilt mit den Parametern n = 1000 und p = 0,98 , sodass auch X binomialverteilt ist – falls die Tropfen exakt gleich groß sind. Andernfalls ist X stetig verteilt, weil X ja nun nicht nur die Viel- fachen des Tropfenvolumens annehmen kann, sondern auch „Zwischen- werte“. Erøäutere! Und zur Beschreibung dieser „verschmierten“ Vertei- lung von X bietet sich eben gemäß Kap. 4.4 die Normalverteilung an. In Verallgemeinerung dessen merken wir uns: Bei Messvorgängen und Produktionsprozessen wirken stets viele (i. Allg.) relativ kleine Störgrößen atmosphärischer, thermischer, mechanischer usw. Art ein, die in ihrer Summe 2 den Gesamtmess- oder Produktionsfehler ergeben. Die Abweichung der Messer- gebnisse vom wahren Wert bzw. der Istwerte vom Sollwert ist daher „normalerweise“ normalverteilt. Im (vor allem „politischen“) Alltag werden die Voraussetzungen des zentralen Grenzwertsatzes (gerne) „vergessen“ und die GAUSS-Verteilung auch für soziale und wirtschaftliche Phänomene (wie Einkom- mensverteilungen) attestiert oder gefordert, wo eigentlich schiefe Verteilungen vorliegen oder ange- bracht wären. Zum Teil wird der Satz auf ordinale oder sogar nur nominale Merkmale angewendet, die (siehe Buch 7. Kl. S. 237) mangels einer Metrik nicht einmal die oben geforderte Summenbildung der Merkmalswerte erlauben. Noten sind dafür ein gutes Beispiel. 1 Aufgrund der Art der Füllmaschine gehen wir von der Annahme aus, dass die einzelnen Tropfversuche als (nahezu) unabhängige Ver- suche aufgefasst werden können, sodass p einen festen, gleichbleibenden Wert hat. 2 Die Fehler können dabei einander verstärken oder auch schwächen; dies kann im Vorzeichen des Fehlers berücksichtigt werden. Der Gesamtfehler ist dann die Summe dieser orientierten Fehler. 4.10 F 4.24 x f(x) 0 Fig. 4.24 160197-167 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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