Reichel Mathematik 7, Schulbuch

46 Differentialrechnung 2 Das Tangentenproblem 1. Die Begriffe „Tangente“ und „Tangentensteigung“ verstehen und definieren Seit der 1. Klasse weißt du, was man unter der Tangente eines Kreises versteht: Eine Gerade, die den Kreis „berührt“, also in genau einem Punkt – dem Berührpunkt – „schneidet“. Für die in der Vorschau genannten Probleme wäre es nun von Bedeu- tung, den Tangentenbegriff auf beliebige Kurven, insbesondere Funktionsgraphen, auszudehnen – natürlich so, dass dieser allgemeine(re) Tangentenbegriff mit dem der Kreistangente verträglich ist. Vor allem wäre es wichtig, bei gegebener Kurve y = f (x) und gegebenem Punkt P (x 0 1 f (x 0 )) eine Glei- chung der Tangente sowie ein Konstruktionsverfahren für diese angeben zu können. Fig. 2.4a t p Q M P Fig. 2.4b 0 x y f f(x 0 ) + x t p P ñ ò Q Ú Ú Ú x 0 x 0 y x Einen Weg dazu weist Fig. 2.4. Analog zum Kreis scheint man die „berührende“ Gerade an einen be- liebigen Funktionsgraphen als jene „Sekante“ der Kurve ermitteln zu können, deren beide Schnitt- punkte P und Q in einen einzigen – „doppeltzähligen“ 1 – Punkt, nämlich P , zusammenrücken. Man nennt diese eindeutig bestimmte „ausgezeichnete Sekante“ die Tangente an den Graphen von f im Punkt P (x 0 1 f (x 0 )) – oder kürzer: die Tangente an f bei x 0 . Falls die Tangente an f in P existiert , kann man sie sich wie folgt entstanden denken: Ausgehend von einer beliebigen Sekante QP durch den festen Punkt P dreht man diese so lange, bis Q mit P zusammen- fällt. Die Steigung der Sekante geht dabei in die Steigung k P der Tangente im Punkt P über: Sekantensteigung: tan β = Δ y __ Δ x = f (x 0 + Δ x) – f (x 0 ) __________ Δ x Tangentensteigung: tan α = øim Δ x ¥ 0 Δ y __ Δ x = øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) – f (x 0 ) __________ Δ x = k P Dieser Sachverhalt kann nicht nur (vgl. das folgende Beispiel A) zur Berechnung der Steigung der Tan- gente, sondern umgekehrt zur Definition der Tangente verwendet werden. Definition Es sei f: R ¥ R eine Funktion. Aøs Tangente an (den Graphen von) f im Punkt P (x 0 1 f (x 0 )) bezeichnet man jene Gerade durch P, für deren Steigung k giøt: k = tan α = øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) – f (x 0 ) __________ Δ x = f’(x 0 ) (sprich: f Strich bei x nuøø) Bemerkung: Durch die Definition ist sichergestellt, dass es in einem Punkt P höchstens eine Tangente gibt, aber nicht , dass es überhaupt eine gibt. Begründe ! Die Kurzschreibweise f’(x 0 ) für den Grenzwert soll andeuten, dass dieser allein von f und x 0 abhängt. 1 Diese Bezeichnung erinnert daran, dass der Punkt aus der Vereinigung zweier Punkte hervorgegangen ist. (Ähnliches haben wir ja schon in Kap. 1 bei der Zählung der Vielfachheit von Lösungen einer algebraischen Gleichung kennen gelernt.) In älteren Lehrbüchern wird durch die Sprechweise „ P besteht aus zwei infinitesimal benachbarten Punkten“ an den Entstehungsprozess erinnert. 2.1 Die Wiener Südosttangente A23 berührt schon lange nicht mehr die Stadt, sondern schneidet sie. F 2.4a F 2.4b A 183 A 184 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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