Reichel Mathematik 7, Schulbuch
43 1 In diesem Modell lassen sich nun Phänomene, die (vermeintlich nur) die Vollwelt-Theorie stützen – wie etwa die Entstehung von Tag und Nacht oder das allmähliche Auftauchen eines Schiffes am Hori- zont – durchaus auch in der Hohlwelt erklären. Der Schlüssel dazu ist die Tatsache, dass die in der Voll- welt geradlinig verlaufenden Lichtstrahlen in der Hohlwelt kreisförmig verlaufen. (Diese Sprechweise ist missverständlich, weil aus unserer Sicht – der eines Beobachters des R 3 – getroffen; ein Hohlwelt- Bewohner erlebt vermöge der dort herrschenden nichteuklidischen Geometrie Lichtstrahlen in der gleichen „natürlichen“ Weise als nicht-gekrümmt wie ein Vollwelt-Bewohner in seiner nach der eukli- dischen Geometrie geformten Außenwelt Licht- strahlen als geradlinig erfährt.) Den Beweis führen wir anhand von Fig. 3 mittels komplexer Zahlen: Als zu transformierende Gerade g der Außenwelt wählen wir der Einfach- heit halber die Gerade y = d , d * [1; • [ . (Wegen der Drehsymmetrie der Figur stellt dies keine Einschränkung der All- gemeinheit des Bewei- ses dar. Erøäutere! ) Der Fernpunkt von g geht (wie jeder Fernpunkt der Ebene) durch die Inversion in den Ursprung O (0 1 0) über. Der Punkt Q (0 1 d) š 0 + d·i = z Q geht in den Punkt Q° “ 0 † 1 _ d § über, weil z Q° = 1 ____ ___ 0 + d·i = 1 ___ ‒d·i = i ___ ‒d·i 2 = 1 _ d ·i Geht die Gerade g tatsächlich in einen Kreis g° über, so muss dessen Mittelpunkt M bei “ 0 † 1 __ 2d § lie- gen und sein Radius r = 1 __ 2d betragen. Dh., das in- verse Bild P° jedes Punktes P * g muss dann von M den Abstand r haben. Wir rechnen dies nach: Für P (c 1 d) š c + d·i = z P erhalten wir wegen z P° = 1 ____ _____ c + d·i = 1 ____ c – d·i = c ____ c 2 + d 2 + d ____ c 2 + d 2 ·i den Bildpunkt P° “ c ____ c 2 + d 2 † d ____ c 2 + d 2 § . Seinen Abstand von M errechnen wir als Betrag der komplexen Zahl z = z M – z P° : † z † = 9 ___________________ “ c ____ c 2 + d 2 – 0 § 2 + “ d ____ c 2 + d 2 – 1 __ 2d § 2 = 9 _________________ 4d 2 ·c 2 ________ 4d 2 ·(c 2 + d 2 ) 2 + (d 2 – c 2 ) 2 ________ 4d 2 ·(c 2 + d 2 ) 2 = 9 ________ (d 2 + c 2 ) 2 ________ 4d 2 ·(c 2 + d 2 ) 2 = 1 __ 2d = r Überdenken wir nun die Entstehung von Tag und Nacht. Betrachten wir dazu etwa die Außensonne S und den tagseitigen Bogen, also jenen Kreisbogen T 1 T 2 des Erdkreises, der im Sonnenlicht liegt. Nun transformieren wir den Lichtkegel ST 1 T 2 in die Hohlwelt . Die Tangentenstrecke ST 1 geht in einen den Erdkreis berührenden Kreisbogen S°T 1 ° über, analog die Tangentenstrecke ST 2 in einen den Erd- kreis berührenden Kreisbogen S°T 2 ° . S° ist die der Außensonne S entsprechende Innensonne. Der (nun zur Innenseite zählende) Bogen T 1 T 2 = T 1 °T 2 ° bleibt fest und ist nach wie vor genau der von den Sonnenstrahlen der Innensonne S° erreichte Teil des Erdkreises. Mit anderen Worten: Obwohl die Sonne im Inneren der Hohlwelt liegt, bescheint sie nur einen Teil der Hohlwelt. Bei sich drehendem Erdkreis wechseln daher auch in der Hohlwelt Tag und Nacht – ganz so wie in der Vollwelt. Erkøäre! Fig. 4 Fig. 5 S T 1 = T 1 ĵ T 2 = T 2 ĵ Sĵ Analog erscheint auch in der Hohlwelt von P° aus der Mast vor dem Schiffsrumpf. Auch dieses Phäno- men spricht nicht gegen die Hohlwelt! Erøäutere! Du siehst: Mit Mitteln der Mathematik können wir jede der beiden Welten beschreiben und untersu- chen. Ja noch mehr: Mit Mitteln der Mathematik können wir in unseren Köpfen neue „denkmögli- che“ Welten erschaffen. Auch die eingangs erwähn- ten Weltbilder sind ja zuerst in den Köpfen genialer Menschen entstanden, bevor sie in Form von (phy- sikalischen) Gesetzen mathematisiert wurden. Mathematik ist eben in Zahlen und Figuren ge- gossene Phantasie! Fig. 3 g Q ĵ P ĵ g ĵ 0 M lm Re y = d P Q F 4 F 5 Fig. 1b P ĵ P Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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