Vielfach Deutsch 4, Schulbuch

67 Parodistische Texte verfassen 3 Zuhören/Sprechen Lesen Schreiben Grammatik/Rechtschreibung 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 Am nächsten Morgen gab sie den beiden eine leichte Arbeit zu tun und rühr­ te dann einen Teig an, denn sie wollte den Schaden an ihrem Haus wieder ausbessern. Aber Hänsel, der naschhaft war und dem die süßen Lebkuchen auf dem Dach besser schienen als das Frühstück auf dem Tisch, ging hinaus und begann leise vom Haus zu essen. Als die Hexe das merkte, wurde sie sehr zornig. „Ich habe dich nicht bestraft für deine Lügen und deine bösen Taten von gestern, sondern dir und deiner Schwester sogar zu essen und sogar ein Bett zum Schlafen gegeben!“, schalt sie. „Und du ungezogenes Kind lohnst es mir, indem du den Schaden an meinem Haus noch ärger machst!“ Und damit er nicht noch mehr Unheil anrichten konnte, sperrte sie ihn in einen Stall neben dem Haus. Damit er es aber gut hatte in seinem Gefäng­ nis und nicht zu hungern brauchte, fragte sie ihn oft durch das Gitter: „Bist du auch satt, bekommst du genügend zu essen? Streck deinen Finger her­ aus!“ Hänsel hatte sehr viel zu essen bekommen, aber da er sehr gefräßig war, täuschte er die alte Frau, die schon nicht mehr richtig sehen konnte, durch eine arge List, um noch mehr zu erhalten: Er streckte ein abgenag­ tes Knöchlein durch das Gitter und sagte mit kläglicher Stimme: „Meine Schwester gibt mir zu wenig Mahlzeiten, ich bin schon ganz mager.“ Die Alte betastete das Knöchlein und sagte: „Fürwahr, er ist ganz mager! Gretel, er muss mehr zu essen bekommen!“ Die Gretel aber, die ein faules Mädchen war, maulte und sagte, sie könne nicht kochen. „Da musst du eben backen!“, rief die Hexe und heizte den Backofen an, um für den Hänsel eigens ein großes Brot zu backen. Als sie aber das Feuer angeschürt hatte und gerade nachsehen wollte, ob recht eingeheizt war, da gab ihr die arglistige Gretel von hinten einen Stoß, dass die Hexe weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu, schob den Riegel vor, und die arme Alte musste elendiglich verbrennen. Dann befreite das böse Mädchen ihren Hänsel aus dem Stall, wo er seine Strafe absitzen sollte, und sie durchwühlten gemeinsam das ganze Hexenhaus. In einer Ecke hatte die Hexe eine Kiste mit Perlen und Edel­ steinen stehen, die ein Erbstück von ihrem Vater war, einem großen Hexenmeister. Die raubten die beiden Kinder, stopften sich die Taschen voll mit Schmuck und Geschmeide und liefen schnell aus dem Wald. „Und weißt du, was sie hinterher den Leuten erzählten?“ „Was denn?“ „Sie haben doch wahrhaftig behauptet, die Hexe hätte sie aufessen wollen! Diese bösen Kinder!“ „Ich muss sagen, ich habe die Geschichte nicht so erzählt bekommen. Da hörte sich alles ganz anders an, obwohl eigentlich das gleiche geschah!“ . 80 82 84 „Da sieht man es wieder: Die Leute glauben viel lieber die Unwahrheit als die Wahrheit und erzählen dann ohne schlechtes Gewissen die Lügen­ geschichten weiter! Denn die Geschichte hat sich so zugetragen, wie ich sie dir mitgeteilt habe, das weiß ich von jener Hexe, die sie mir anvertraut hat.“ „Wenn das so ist, dann möchte ich gerne einmal ‚Rotkäppchen‘ von einem Wolf erzählt bekommen.“ Aus: Paul Maar: Der tätowierte Hund. Friedrich Oetinger Verlag, Hamburg 2007 (bearbeitet). fördern  4, 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentu des Verlags öbv

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