Reichel Mathematik 6, Schulbuch
257 7.7 Rückblick und Ausblick 7 Rückblick und Ausblick 1. Stetigkeit als „Sicherheit“ erkennen Führen wir uns – rückblickend – die Bedeutung und die Tragweite des Stetigkeitsbegriffs nochmals deutlich vor Augen! Wozu dient der Stetigkeitsbegriff, was leistet er? Wir gingen aus vom näherungsweisen Lösen von Gleichungen f (x) = 0 und verwendeten dabei die „Intervallhalbierungsmethode“ (binäres Suchen). Als wir das äußerst anschauliche Verfahren, den so genannten „Kalkül“ beherrschten, haben wir uns gefragt, ob dieses Verfahren tatsächlich bei allen Funk- tionen f funktionieren muss. Schließlich haben wir erkannt, dass wir dabei zunächst unausgesprochen und „automatisch“ vorausgesetzt hatten, dass der Graph der Funktion f „fadenförmig“ („stetig“) sei. Wei- ters haben wir erkannt, dass es Funktionen f gibt, deren Graph nicht überall fadenförmig verläuft. Bei solchen Gleichungen f (x) = 0 könnte unser Lösungsverfahren aber versagen! Um nun unser Verfahren „abzusichern“, mussten wir die Voraussetzungen deutlich, eindeutig und ma- thematisch exakt formulieren. (Wir mussten diejenige Eigenschaft von f erfassen, welche das Funktionie- ren unseres Verfahrens gewährleistet , dh. absichert.) Zu diesem Zweck haben wir den Stetigkeitsbegriff erklärt, der sich allerdings auch bei vielen anderen Problemen als nützlich erweist. Der Stetigkeitsbegriff dient also nicht nur der Beschreibung von Situationen, sondern auch bei vielen mathematischen Verfah- ren der Absicherung ihrer Wirksamkeit und der Klärung ihres Gültigkeitsbereichs . Der Stetigkeitsbegriff ist – so gesehen – ein „innermathematischer Begriff“ von theoretischer Bedeutung. Von dieser (durch die Stetigkeit verbürgten) Sicherheit haben wir schon früher – ohne es freilich be- sonders betont zu haben – profitiert: Warum sonst hätten wir Funktionsgraphen einfach durch „intuitives“ Verbinden „aufeinander folgen- der“ Punkte zeichnen dürfen? Wir haben (ohne das Problem überhaupt erkannt zu haben) stillschwei- gend vorausgesetzt , dass keine Sprünge auftreten, was wohl bedeutet, dass zwischen zwei Punkten A (a 1 f (a)) und B (b 1 f (b)) jeder dazwischenliegende Funktionswert mindestens einmal angenommen wird. Mit anderen Worten: Wir haben die Stetigkeit von f vorausgesetzt und in Form des Zwischenwertsatzes ausgenützt: Satz Zwischenwertsatz: Ist f eine auf einem abgeschøossenen Intervaøø [a; b] stetige Funktion, und giøt f (a) ≠ f (b), so nimmt f jeden Wert zwischen f (a) und f (b) mindestens einmaø an. Ebenso haben wir (ohne das Problem überhaupt erkannt zu haben) stillschweigend vorausgesetzt , dass zwischen zwei Punkten A (a 1 f (a)) und B (b 1 f (b)) , von denen einer oberhalb und einer unterhalb der x- Achse liegt, sich mindestens eine Nullstelle von f befindet, welche eine Lösung der Gleichung f (x) = 0 angibt. Mit anderen Worten: Wir haben die Stetigkeit von f vorausgesetzt und in Form des so genannten Nullstellensatzes ausgenützt: Satz Nuøøsteøøensatz: Ist f eine auf einem abgeschøossenen Intervaøø [a; b] stetige Funktion und haben f (a) und f (b) verschiedene Vorzeichen, so hat f in [a; b] mindestens eine Nuøøsteøøe. Auch schon beim Rechnen mit den Grundrechnungsarten haben wir von der Stetigkeit dieser Operatio- nen profitiert: So verwenden wir beim „überschlägigen Multiplizieren“ die Tatsache, dass eine (genügend) „kleine“ Ab- änderung der Faktoren eine (beliebig) „kleine“ Änderung (Ungenauigkeit) des Wertes des Produktes nach sich zieht. Genauer: In der Gleichung (a + Δ a)·(b + Δ b) = c + Δ c geht der Fehler Δ c beim Produkt gegen 0 , wenn nur die „Fehler“ Δ a und Δ b der Faktoren gegen 0 gehen. Man sieht: „Überschlagsrech- nungen“ und „Fehlerabschätzungen“ (etwa bei Vermessungsaufgaben) wären ohne Bezugnahme auf die Stetigkeitseigenschaft und deren Übertragung undenkbar! 7.7 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv
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