83 Es wird nun klar, dass man endlos so weitermachen und immer wieder von Neuem einen grundlegenderen Satz einfordern könnte. Schon seit Jahrtausenden versuchen Mathematikerinnen und Mathematiker ein sicheres Fundament festzulegen. Dieses Fundament soll aus Sätzen bestehen, die man nicht mehr anzweifelt. Sie sollen so einsichtig sein, dass man sie guten Gewissens als richtig betrachten kann. Diese grundlegenden, als richtig angenommenen Basissätze nennt man Axiome. Die Axiome des Euklid Der Erste, von dem wir wissen, dass er versucht hat, einen ganzen Zweig der Mathematik aus wenigen Axiomen abzuleiten, war Euklid (3. Jhdt. v.Chr.). Es gelang ihm, die Geometrie aus nur fünf Axiomen zu entwickeln. Diese Geometrie nennt man die euklidische Geometrie – sie umfasst die Geometrie in der Ebene. Dies ist die Geometrie, die man auf einem ebenen Blatt Papier mit Bleistift, Lineal und Zirkel durchführen kann. Eines dieser fünf Axiome ist das sogenannte Parallelenaxiom. Es besagt (in einer abgewandelten Form): „Zu jeder Geraden g gibt es durch einen Punkt P außerhalb der Geraden g genau eine Gerade p, die keinen Schnittpunkt mit der Geraden g hat.“ Die Gerade p nennt man die Parallele zu g durch den Punkt P. Im 19. Jahrhundert kamen Mathematikerinnen und Mathematiker auf eine fast waghalsige Idee. Was passiert, wenn man eines dieser Axiome einfach abändert? Man ändert das Parallelenaxiom folgendermaßen ab: „Es gibt zu keiner Geraden eine parallele Gerade.“ Zwei Geraden schneiden einander also immer! Das scheint zunächst absurd zu sein. Eine Auswirkung dieser Abänderung des Axioms wäre zum Beispiel, dass der Beweis auf S. 82 von der Winkelsumme im Dreieck nicht mehr durchführbar ist, da man für seine Durchführung parallele Geraden benötigen würde. Ein Dreieck hätte nicht mehr die Winkelsumme von 180°! Man erhält eine neue Art der Geometrie – eine nichteuklidische Geometrie. Auf den ersten Blick scheint diese nichteuklidische Geometrie eher eine versponnene Spielerei zu sein, völlig fern der Realität, da wir doch „wissen“, dass es zu jeder Geraden eine parallele Gerade gibt. Näher betrachtet ist diese Geometrie aber ganz und gar nicht unrealistisch. Führt man nämlich Geometrie auf einer Kugeloberfläche durch (z.B. auf der Erde), dann sehen Dreiecke ganz anders aus, als auf einem ebenen Blatt Papier. Die Seiten des Dreiecks sind noch immer, wie in der Ebene, die kürzesten Verbindungen zwischen zwei Eckpunkten, nur sind diese kürzesten Verbindungen gekrümmt und liegen auf sogenannten Großkreisen der Kugel, deren Mittelpunkt im Kugelmittelpunkt liegt. Man kann in der Abbildung leicht erkennen, dass das eingezeichnete Dreieck eine Winkelsumme von mehr als 180° hat. So betrachtet ist die nichteuklidische Geometrie für uns „Erdenmenschen“ eigentlich realistischer als die euklidische Geometrie. Ebenso basiert die von Albert Einstein formulierte allgemeine Relativitätstheorie darauf, dass die euklidische Geometrie nicht zur vollständigen Beschreibung des Raumes im Universum geeignet ist. Und was ist nun mit der dir so vertrauten, in der Schule gelehrten Geometrie des Euklid und dem Parallelenaxiom? Sie gelten nur auf kleinem Raum, nämlich nur solange Krümmungen vernachlässigbar sind – zum Beispiel auf einer Seite in deinem Mathematikheft. Ó Vertiefung Euklids Axiome u4yd5m Ó Arbeitsblatt Übungen mit Axiomensystemen by85fq A C B Ó Vertiefung Kolmogorow Axiome Peano Axiome 2z32xc Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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