Reflexion 122 Gödels Unvollständigkeitssatz Schon seit der Antike haben Menschen versucht, die Mathematik auf ein sicheres Fundament zu stellen. Dazu entwickelte man ein so genanntes formales System aus Axiomen, Definitionen und Ableitungsregeln, um alle wahren mathematischen Sätze durch logisches Schließen abzuleiten – also zu beweisen. Die Regeln der Logik1) sollten dabei folgerichtiges Denken gewährleisten. Dennoch stieß man dabei immer wieder auf ein Dilemma: Mit vielen formalen Systemen ließen sich eigenartige, unentscheidbare mathematische Sätze, sogenannte Antinomien, ableiten. Diese Antinomien waren oft von der Art, wie rechts dargestellt. Überlege einmal, ob die beiden Sätze auf der blauen und auf der grünen Karte falsch oder richtig sind. Wahrscheinlich wird es dir wie den meisten Menschen ergehen: Die beiden Sätze springen immer wieder zwischen Falschsein und Wahrsein hin und her. Es ist unmöglich, deren Wahrheit oder Falschheit festzustellen. Im Jahr 1900 träumte David Hilbert, der damals einflussreichste Mathematiker der Welt, seinen Traum: Alle forschenden Mathematikerinnen und Mathematiker des 20. Jahrhunderts sollten ein formales System als Grundlage der gesamten Mathematik finden, das widerspruchsfrei ist und in dem Sinn vollständig ist, dass man innerhalb des Systems alle wahren Sätze ableiten kann. Widerspruchsfreiheit In der klassischen Logik gilt der „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“: Wenn eine mathematische Aussage wahr ist, dann ist die Verneinung dieser Aussage falsch (siehe auch Lösungswege 6). Zum Beispiel folgt aus der Falschheit der Aussage „Ein Hund ist ein Vogel.“ die Richtigkeit der Verneinung dieser Aussage „Ein Hund ist nicht ein Vogel.“ Ein formales System ist genau dann widerspruchsfrei, wenn eine Aussage und deren Verneinung nicht beide abgeleitet, also bewiesen werden können. Sollte es in einem mathematischen System möglich sein, eine Aussage und ihre Verneinung zu beweisen, so führte dies zu einer mathematischen Katastrophe! Es wäre dann durch logisches Schließen möglich, von jedem (noch so falschen) Satz zu zeigen, dass er wahr ist! An folgendem Beispiel wird gezeigt, wie man in einem solchen Fall die Existenz von Einhörnern mit Hilfe der Logik beweisen kann. Der (rein logische) Beweis, dass Einhörner existieren Eine kleine Anfangsüberlegung zur Logik: Wenn in der Mathematik zwei Sätze mit dem Wort „oder“ verknüpft werden, so ist diese zusammengesetzte „oder“-Aussage genau dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind oder wenn auch nur eine der beiden Aussagen wahr ist. Zum Beispiel: Der zusammengesetzte „oder“-Satz „x ist eine gerade Zahl oder x ist durch drei teilbar“ ist für x = 9wahr, weil der zweite Teilsatz wahr ist (obwohl der erste Teilsatz offensichtlich falsch ist). Man kann auch umgekehrt vorgehen: Wenn man weiß, dass der zusammengesetzte „oder“‑Satz „Ein Hund ist ein Vogel oder Hilbert wurde in Königsberg geboren“ wahr ist, dann weiß man, dass Hilbert in Königsberg geboren wurde. Denn wenn der erste Teilsatz falsch ist, muss der zweite Teilsatz wahr sein, damit der zusammengesetzte „oder“‑Satz wahr ist. 1) Die Logik ist ein Tei®gebiet der Mathematik Ó Vertiefung Wahrheitstabelle dv2w4f Ätsch, Herr Hi®bert! Der Satz auf der grünen Karte darunter ist fa®sch! Der Satz auf der b®auen Karte darüber ist richtig! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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